10 - Operation Rainbow
Zimmer waren belegt, und draußen füllte sich allmählich der Parkplatz mit PKWs, die erst heute eingetroffen waren. Er nahm an, daß die Anreise von New York zwei oder drei Tage in Anspruch nahm - aber wo blieben die Umzugswagen? Oder wollten sich die Leute hier nur vorübergehend aufhalten? Das Gebäude bot für ein Gästehaus allen Komfort, doch als ständige Heimstatt kam es wohl nicht in Frage. Jene, die kleine Kinder mitbrachten, würden es mit ihren Sprößlingen auf so engem Raum kaum aushalten. Er sah ein junges Paar, das mit einem anderen redete, und bekam im Vorübergehen Gesprächsfetzen mit. Alle waren völlig aus dem Häuschen über die Wildtiere, die sie bei der Herfahrt gesichtet hatten. Rehwild und ähnliche Tierarten mochten ja ganz hübsch sein, dachte Popov wohlwollend, waren aber doch kein Thema, das einen vernünftigen Menschen derart entzücken konnte. Waren das die hochrangigen Wissenschaftler, die der Horizon Corporation weltweites Ansehen bescherten? Sie redeten wie Junge Pioniere, die das erste Mal aus Moskau herauskommen und sich nicht genug wundern können über den Anblick einer Staatsfarm. Da war es doch besser, die großen Opernhäuser in Wien oder Paris zu besuchen, dachte der Ex-KGBler, als er sein Zimmer betrat. Andererseits waren diese Leute Naturfreunde. Vielleicht sollte er sich stärker auf ihr Hobby einlassen? Waren da nicht Videobänder in seinem Zimmer?... Doch, er fand sie sofort und steckte eins in den Recorder, bevor er die Starttaste drückte und den Fernseher anstellte.
Aha. Es ging um die Zerstörung der Ozonschicht, die den Westlern große Sorge zu bereiten schien. Popov fühlte sich beinahe ebenso betroffen, als die ersten Pinguine der Antarktis, die unter dem Ozonloch lebten, an Sonnenbrand starben. Doch er sah sich die Sache trotzdem an. Es stellte sich heraus, daß eine Umweltgruppe namens Earth First das Video gedreht hatte, und die Botschaft war nicht weniger borniert als alles, was die UdSSR an Propagandafilmen herstellen und verbreiten ließ. Die Leute regten sich in der Tat fürchterlich auf und forderten die Einstellung eines Großteils der Chemieproduktion - und wie sollten Klimaanlagen ohne diese Industrie funktionieren? Sollte man die Kühlschränke abschaffen, um ein paar Pinguine vor der ultravioletten Einstrahlung zu retten? Was für ein Unsinn!
Der Film dauerte laut Armbanduhr zweiundfünfzig Minuten. Er nahm den nächsten aus der Hülle, der sich - von derselben Gruppe produziert - mit Staudämmen befaßte. Es fing damit an, daß »Umweltverbrecher« angeprangert wurden, die den Hoover-Damm am Colorado befürwortet und gebaut hatten. Aber das war doch ein Wasserkraftwerk , oder? Brauchten diese Fanatiker keinen Strom? Dachten sie, der käme von selbst aus der Steckdose? Wasserkraftwerke gehörten zu den saubersten überhaupt, und dieses Video hätte gar nicht erst in Hollywood produziert werden können ohne den Strom vom Colorado. Wer war diese Gruppe - und warum lagen ihre Propagandafilme hier im Hotel aus? fragte sich Popov. Druiden - wieder fiel ihm dieses Wort ein. Jungfrauen opfern, den Bäumen huldigen: Verhielt es sich so, dann war er an einen merkwürdigen Ort gelangt, wuchsen doch nur wenige kostbare Bäume auf den weizenbedeckten Ebenen von West-Kansas.
Druiden? Naturfreunde? Er ließ das Band zurücklaufen und kramte im Zeitschriftenständer, bis er eine Publikation dieser Earth-First-Initiative fand.
Was sollte dieser Name bedeuten? Die Erde zuerst - aber vor wem anderen? Die Artikel schrien Zeter und Mordio über diverse Schändungen des Planeten. Naja, das Verminen von Landstreifen war häßlich genug, wie er zugeben mußte. Dieser Planet könnte ein so schöner, lebenswerter Ort sein. Er selbst freute sich wie jeder andere am Anblick grüner Wälder - und mindestens ebenso an den purpurnen Felsklippen im Hochgebirge jenseits der Baumgrenze. Wenn es einen Gott gab, war Er ein genialer Künstler gewesen, aber... was war das?
Die Menschheit, hieß es in einem zweiten Bericht, sei ein schmarotzendes Ungeziefer auf der Oberfläche des Planeten, das ihn nur zerstörte, statt ihn zu pflegen. Schon zahlreiche Tier- und Pflanzenarten habe der Mensch dahingerafft, und damit sein Recht aufs Dasein verwirkt. Er vertiefte sich in die Polemik und las sie bis zum Ende.
Popov hielt das für puren Aberwitz. Rief denn eine Gazelle, die vom Löwen attackiert wurde, Polizei und Justiz zu Hilfe, um ihr Recht auf Leben einzuklagen? Protestierte
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