100 - Des Teufels Samurai
aber er sah doch ein, daß es im Kampf ums Überleben notwendig war. Anders verhielt es sich dagegen, wenn es um wehrlose Opfer ging.
„Die beiden Schüler haben Zeit, sich mit ihren Klingen vertraut zu machen, bis die Lichter angezündet werden", verkündete Gensuke.
Die Diener hatten im großen Park zwei Strohpuppen aufgestellt. Die Gefolgsleute und Vertrauten des Daimyo ließen sich in Gruppen auf Matten nieder, um den Darbietungen der beiden miteinander wetteifernden jungen Männern beizuwohnen.
Von überall her aus dem Palast waren die jungen Mädchen eingetroffen, und selbst die Geishas und die maiko genannten Tänzerinnen hatten freibekommen. Statt ihrer servierten Dienerinnen Speisen und Getränke. Barden entlockten ihren Samisen, den Gitarren mit nur drei Saiten, und ihren viersaitigen Biwas zarte Töne und gaben dazu ihre Lieder zum Besten.
Tomotada erhielt den ersten Beifall, als er im umgekehrten Libellenstil auf seine Strohpuppe losging.
„Wie gekonnt dieser kuruinasaki angebracht wurde!" sagte ein Samurai mit gutem Namen lobend. Kurumasaki, wie dieser Hieb hieß, bedeutete soviel wie „Ende des Rades".
Es gab viele solcher genau benannter und vorgeschriebener Hiebe, und Tomotada beherrschte sie alle meisterhaft.
Man brachte ihm eine neue Strohpuppe.
Nun wartete alles gespannt auf Hoichi, der zum erstenmal in seinem Leben das Tomokirimaru führen sollte.
Er machte einige optisch sehr eindrucksvolle Übungen im Zickzack-Stil.
Das brachte ihm noch mehr Beifall ein als zuvor Tomotada, und die Mädchen wechselten kichernd, mit drehenden Sonnenschirmen und mit kokettem Fächerspiel auf seine Seite über.
Tomotada ging, als er dies sah, noch mehr aus sich heraus.
Beifall des sachkundigen Publikums, und ein vielstimmiges „Oh" aus Mädchenkehlen.
Hoichis Begeisterung hatte sich inzwischen so weit gesteigert, daß er die Ovationen kaum mehr bemerkte. Er wußte nicht mehr, ob sie ihm oder seinem Milchbruder galten. Es war, als sei die magische Kraft des Tomokirimaru auf ihn übergegangen. Er brauchte kaum etwas zu tun. Das Schwert schien seine Hand zu führen. Eine bisher nie gekannte Kraft durchflutete ihn. Er. war wie berauscht und fasziniert von seinem Schwerttanz, und er fühlte sich in diesen Momenten stark genug, es mit dem Tomokirimaru gegen ein Heer von Gegnern aufzunehmen.
Hoichi merkte gar nicht, daß auf einmal die Laternen angezündet wurden. Erst Gensukes Ruf brachte ihn in die Wirklichkeit zurück.
„Zuerst sollen die Lehrlinge gelabt werden", verkündete Gensuke.
Tomotada kam zu Hoichi und umarmte ihn.
„Ich erlaube mir, dich zu beglückwünschen, mein Bruder", sagte er. „Ich habe dich einige Male beobachtet, und es schien mir, als seist du mit dem Tomokirimaru verwachsen. Was für ein Gefühl muß es sein, mit einem solchen Schwert zu fechten!"
Hoichi hielt es ihm wortlos hin.
„Darf ich wirklich?" fragte Tomotada ungläubig und nahm es an sich, ohne das seine aus der Hand zu geben. Er machte einige Stilübungen mit beiden Schwertern gleichzeitig - mit diesen beiden Schwertern, die äußerlich nicht voneinander zu unterscheiden und doch so grundverschieden waren. Tomotada wirbelte die Schwerter so schnell durcheinander, daß Hoichi mit den Augen nicht folgen konnte und am Ende nicht mehr wußte, in welcher Hand er das Tomokirimaru hielt.
Tomotada hielt inne und übergab Hoichi eines der beiden Schwerter mit der Bemerkung: „Was für ein Schwert!"
Die beiden Banditen hatten ihren Platz eingenommen. Hoichis Mann war ein bärtiger Geselle mit funkelnden Augen.
Hoichi trat vor ihn hin. Gensuke hatte an der rechten Seite des Verurteilten mit dem gezückten Schwert Aufstellung genommen.
„Seid Ihr es, der mich töten wird, Jüngling?" fragte der Bärtige.
„Ja", sagte Hoichi.
Der Mann spie aus und sagte haßerfüllt: „Ich fürchte den Tod nicht, doch hoffte ich auf die Gnade, wie ein Mann im Kampf sterben zu dürfen. Wenn Ihr mich unehrenhaft tötet, begeht Ihr großes Unrecht an mir. Aber so gewiß, wie Ihr mich tötet, so sicher werde ich gerächt werden. Der Haß, den Ihr in mir entfacht, wird auch nach meinem Tode weiterleben, und Böses wird mit Bösem vergolten werden."
Der Mann hatte so laut gesprochen, daß alle im Park es hören konnten. Entsetztes Schweigen breitete sich aus. Man wußte - wenn ein Mensch getötet wurde und dabei unversöhnlichen Haß in sich trug, konnte sich dieser Haß später entladen.
Hoichi war blaß geworden. Nichts fürchtete er
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