100 - Die gelbe Villa der Selbstmoerder
Gehrdorf.“
Wir starrten in die Finsternis eines Tales vor uns. Kein Licht brannte, aber das Dorf war als dunkler Fleck deutlich zu erkennen.
„Fast zehn“, murmelte Schwaber. „Wenn nur alles gutgeht.“
„Habt ihr nie Lichter nachts?“ fragte ich das Mädchen.
„Doch.“ erwiderte sie gepreßt.
„Was ist los? Es ist erst zehn. Die können doch nicht alle schon schlafen“, meinte Ernst.
„Weißt du, was es zu bedeuten hat?“ fragte ich erneut das Mädchen.
„Nein“, sagte sie zögernd. „Aber…“
„Aber?“ drängte ich. „Auch wenn du nicht sicher bist, sag uns, was du weißt. Alles ist wichtig.“
„Ich glaube, daß ein Gewitter kommen wird“, sagte sie rasch.
„Ein Gewitter?“ entfuhr es Schwaber. „Der Himmel ist doch klar.“
„Es wird ein Gewitter kommen“, wiederholte sie fest. „Kein gewöhnliches Gewitter, sondern eines wie damals, als Onkel Paul gestorben ist. Es kommt immer ein Gewitter, wenn etwas Böses geschieht.“
„Geschieht es oft?“
Sie nickte.
„Aber das ist absurd“, bemerkte Schwaber verärgert. „Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Gewitter, das kommen soll, und der Dunkelheit im Ort. Wenn durch das Gewitter der Strom ausfällt, aber…“
„Immer fiel zuerst der Strom aus“, sagte das Mädchen mit zitternder Stimme. „Dann sieht man niemanden mehr auf der Straße. Rosa und ich, wir hatten immer große Angst, wenn es geschah. Auch Onkel Paul. Wir sauen in der Finsternis und warteten. Alle taten das.“
„Hattet ihr keine Kerzen, keine Fackeln?“ fragte ich verwundert.
„Doch, aber sie brannten nicht.“
„Sie brannten nicht?“ entfuhr es mir. „Wie meinst du das?“
„Das Feuer funktionierte nicht. Kein Streichholz, nichts.“
Wir starrten sie alle voll Unglauben an.
„Es war kalt“, sagte sie. „So wie jetzt.“
Tatsächlich wehte eine eisige Kälte aus dem Tal herauf.
„Ihr glaubt das doch nicht?“ fragte Schwaber hastig. „Das mit dem Feuer ist doch…“
Klara unterbrach ihn. Ihre Stimme klang, als wäre sie halb in Trance. „Sie bereiteten den Tod vor.“
Ich sah sie überrascht an. Ihre Augen waren weit offen, das war selbst in der Dunkelheit zu erkennen. .
„Klara“, rief ich halblaut.
„Ich bin wach, Hans“, erwiderte sie. „Fast.“
„Was siehst du?“
„Es ist alles so undeutlich. Nur eine Ahnung von Tod. Ein Altar. Sie wollen töten.“ Plötzlich ergriff sie mich am Arm. „Wenn wir jetzt hinuntergehen, werden wir alle sterben.“
Sie sah das Erschrecken in unseren Gesichtern. „Ich weiß nicht warum, aber wir sollten jetzt nicht hinabgehen.“
„Dann werden wir es auch nicht“, stimmte ich zu.
„Ich verstehe das alles nicht“, begann Schwaber.
„Wir auch nicht. Es sieht so aus, als betrieben die Gehrdorfer eine Art Kult. Klara ist sich offenbar nicht sicher, ob die Todesahnung etwas mit uns zu tun hat. Ich weiß aus Erfahrung, daß wir besser daran tun, Klaras Gesichter ernst zu nehmen.“
„Klaras was?“ unterbrach mich Schwaber.
„Klara hatte ein Gesicht, eine Art Vision.“
„So wie ich sie hatte, als ich Mama sah?“ fragte das Mädchen.
„Ja“, erklärte ich, „so etwas Ähnliches, Julia.“
Ernst sagte hinter uns: „Die Kleine hat recht, Hans. Probiert mal eure Taschenlampen.“
Schwaber war der erste, der es tat, und schüttelte sie verblüfft, als sie nicht brannte.
„Dann sind wir in diesem Bannbereich“, stellte ich fest. Ich wandte mich an Klara. „Sind wir hier sicher?“
„Ich glaube, ja“, erwiderte sie.
„Auch die Geräte“, sagte Kurt, „alles tot.“
„Was ist das?“ fragte Schwaber. „Eine Art Energieschirm?“
„Sie lesen zu viel Science Fiction-Romane“, meinte Kurt.
„Seid mal still“, sagte ich ungeduldig. „Klara, kannst du noch irgend etwas erkennen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Hans.“ Sie lauschte in sich hinein. „Furcht“, sagte sie dann. „Viele Menschen haben Furcht.“
„Das weiß ich auch ohne mediale Anlagen“, meinte Schwaber trocken.
Ich gab ihm keine Antwort. Er begann mir auf die Nerven zu fallen.
„Sie haben auch Furcht“, sagte Klara zu ihm. „Das kann ich erkennen, ohne meine Kräfte zu strapazieren. Ich glaube, Sie werden uns noch viel Kummer machen.“
Das saß. Ich bemerkte es mit Befriedigung. „Sollen wir ihn hierlassen?“ fragte ich Klara.
Bevor sie antworten konnte, fuhr er dazwischen: „Das können Sie nicht tun, Feller! Sie haben viele Informationen von mir erhalten. Ich
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