100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
gehabt. Zunächst ist er daran schuld, dass ich bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr keinen Fisch mehr gegessen habe: Meine Mutter fütterte mich als Kind mit Fischstäbchen (»Kabeljau ist gesund!«), und weil ich deren Geschmack nicht mochte, nahm sie mich auf den Schoß und hielt mich schraubstockartig fest. Ich wurde also quasi einmal die Woche mit diesen langweiligen Fischstäbchen »zwangsernährt« – mit dem Ergebnis, dass natürlich jedes Mal alles wieder hochkam und Terroralarm herrschte. Außerdem war es damals üblich, jüngeren Kindern vom Arzt verschriebene Wurmkuren zu verpassen. Und die funktionierten nur mit Lebertran. Dieser Löffel voll Lebertran war für mich der Ekel schlechthin. Allein die Vorstellung treibt mir noch heute den Angstschweiß auf die Stirn. Das alles brachte ich, so verkehrt es auch war, immer mit Kabeljau in Verbindung.
Als Erwachsene, an der Seite von Menschen, deren Geschmack ich vertraute, näherte ich mich Schritt für Schritt den Köstlichkeiten, die aus dem Wasser kommen, wieder an. Nur der Kabeljau hat es nicht geschafft, sich bei mir beliebt zu machen: Bei einem Spaziergang in Lissabon kamen wir durch eine Hafengasse, in der für meinen Geschmack ein bestialischer Gestank herrschte. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass der vom Stockfisch, Bacalhau genannt, käme. Dieser getrocknete Kabeljau hing wie Tabakblätter gebündelt vor allen Läden und war der Geruchsübeltäter. Man konnte mir fortan über die köstlichen Gerichte, die die portugiesischen Hausfrauen aus dem gewässerten Trockenfisch angeblich zaubern, erzählen, was man wollte – ich verschloss meine Ohren genauso wie meine Nase. Und was wurde beim Rückflug in der Maschine nach München serviert? Bacalhao. Um mir Kabeljau schmackhaft zu machen, müssten ihn mir Engelszungen preisen. Aber vielleicht würde es ja schon genügen, wenn ich den Burschen mal in frischer Form kennenlernen würde?
Nun konnte ich als Kind nie genug Fischstäbchen bekommen, und die bestanden damals halt aus Kabeljau. Für mich war er der alltäglichste Meeresbewohner überhaupt. Später, im Restaurant, wurde er mir für teures Geld als rare Delikatesse angeboten. Ein Luxusfisch, serviert in dicken Filets. Dann lernte ich, dass der Kabeljau, auch Dorsch genannt, seit Jahren lokal im Bestand bedroht ist. Der WWF sagt, »alle Kabeljaubestände im Nordatlantik mit Ausnahme der Nordost-Arktis und östlich Ostsee« gelten als »überfischt oder in unbekanntem Zustand. Die am stärksten dezimierten Bestände sind die in den keltischen Meeren, der Färöer Bank und im Kattegat.« Inzwischen wird Kabeljau in Norwegen gezüchtet, ein Geschäft, das freilich als wenig lukrativ gilt. Einige Zuchtbetriebe fangen wilde Fische, um sie nach der Saison quasi aus dem Bassin verkaufen zu können.
Von der Alltagskost zum Luxusfisch direkt auf die Liste gefährdeter Arten, und das alles in meinem bisschen bisheriger Lebenszeit – das gibt mir schwer zu denken. Dabei muss es diesen Fisch früher in rauen Mengen gegeben haben: »Man hat ausgerechnet, dass es nur drei Jahre bräuchte, damit das Meer gefüllt wäre und man den Atlantik trockenen Fußes auf dem Rücken der Dorsche überqueren könnte«, sagt das »Wörterbuch der Küche« aus der Feder von Alexandre Dumas (1870), »falls kein Unfall das Schlüpfen der Eier verhinderte und wenn jeder Kabeljau zu seiner Größe heranreifte.« Dumas erzählt auch, dass zum Fangen der gefräßigen Fische jeder Köder taugt, »die flämischen Fischer verwenden besonders Frösche, die Basken Anchovis und Sardinen, die Fischer von Boulogne Heringe, Makrelen und sogar Regenwürmer. In Irland nutzt man Muscheln, in Holland Stücke vom Neunauge.«
Wie man den Kabeljau Fisch-Abstinenzlern schmackhaft machen kann? Nun, zuerst brauchen wir einen hervorragenden Kabeljau. Seine Trockenform, der Stockfisch, würde den Erst-Esser nicht begeistern. Er will stundenlang gewässert werden, das Wasser muss ständig ausgetauscht werden etc. etc. Kabeljau ist ein fragiler Fisch, bei dem man besonders auf Frische achten sollte. Ein glänzender Leib zeugt von Qualität, außerdem sollten die kleinen »Bärte« in den Mundwinkeln schön starr sein. Das feste Fleisch präsentiert sich in klarem Weiß. Besonders guter Kabeljau geht den Fischern von Januar bis Mai ins Netz. Er muss unbedingt frisch sein: Sein Aroma leidet schon, wenn er länger als einen Tag im Kühlschrank ruht.
Besser noch schmeckt der Skrei aus Norwegen: Das ist
Weitere Kostenlose Bücher