100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
Produktion kaum ausgleichen können. Dabei ist die echte Sachertorte ohne Marillenmarmelade nicht denkbar und auch der nicht nur bei Kindern heiß geliebte Pfannkuchen, der in Österreich Palatschinken heißt – ob mit Marillenschnaps flambiert oder nicht –, ist mit jeder anderen Marmeladensorte nur die Hälfte wert.
Auch als Piefke finde ich das Festhalten an den österreichischen Namen ebenso sympathisch wie verständlich. Sprache ist Sprache und Vertrauen einflößende Heimat. Wer würde denn in Deutschland zum Beispiel im Gegenzug auf die Worte »Tomate« und »Aprikose« verzichten? Außerdem, das erwähne ich in diesem Buch gerne bei jeder passenden Gelegenheit, kommen aus Österreich ganz hervorragende Köche und Winzer. Überhaupt ist die ganze Feinschmeckerei dort keine so abgehobene Angelegenheit, sondern fällt in den Bereich Alltagskultur.
Kein Deutscher sollte Österreicher über Marillen belehren. Ich will deshalb auch gar nicht damit anfangen. Zitieren kann ich immerhin aus den Dokumenten des »Arbeitsausschusses zur Förderung des Marillenanbaus in den Gebieten Wachau-Krems-Mauern«. Die verraten uns nicht nur, dass Marillen 45 bis 60 Gramm schwer sind, fast alle der Sorte »Klosterneuburger« entstammen, über oranges und rötlichoranges Fruchtfleisch verfügen, einen Zuckergehalt von 9,4 Prozent und einen Fruchtsäuregehalt von 13 Prozent aufweisen. Sie sagen auch, dass die Früchte nicht mehlig werden (ein beachtlicher Unterschied zu vielen anderen Aprikosen!) und zum ersten Mal schriftlich in einem Brief vom 23.7.1509 als »Maryln« auftauchen. Das Schriftstück liegt im Starhembergischen Archiv in Eferding bei Linz. Die Marillen aus der Region Arnsdorf in der Wachau wurden am 15.4.1679 vom »Löß-Commissary« (Lesmeister) des Hochstiftes St. Peter in Salzburg erwähnt: »Nuß, Pfersich, Mariln, Mandeln«, so listete der Lesmeister die Bäume in den Weingärten des Peterstiftes auf.
Wer aus geografischen Gründen nicht die sorgfältig behandelten Wachauer Marillen kaufen kann, sondern in der Früchtekiste nach anonymen Aprikosen grabbeln muss, sollte Folgendes beachten: Zu grüne Ware ist fad, alles andere muss man abtasten: Gute Früchte fassen sich fleischig-seidig an und sind ein wenig weich. Schwammig oder schlaff dürfen sie nicht sein. Auch zu harte Aprikosen dürfen ruhig beim Händler bleiben: Nach dem Pflücken reifen sie nicht weiter. Die Früchte sind fragil, und jeder Stoß führt zu braunen Flecken. Doch selbst wenn die Aprikose perfekt ausschaut, kann sie innen faserig sein. Einige Fachleute vermuten, dass dies an der Intensivbewirtschaftung mancher Plantagen liegen könnte. Vor all dem ist man bei Ware aus der Wachau gefeit.
Maronen
Ich weiß, dass sie bei Edelköchen glasiert bzw. karamelisiert sehr beliebt sind als Beilage zu Wild. Und dass sie in süßer Form – als Mousse – ein exklusives Dessert sind; sogar als Sahneeis sind mir die Esskastanien schon begegnet. Allerdings kann ich mit dem Maronengeschmack nichts anfangen – meine Zunge empfindet ihn mit seiner etwas faden Süße zwar als unverwechselbar, aber zu wenig ausgeprägt, ja sogar langweilig.
Interessanter finde ich aber die Geschichten um die Esskastanie. Als Kind habe ich zum Beispiel nicht verstanden, warum man aus den glänzenden Früchten der Rosskastanie, die in den Alleen zuhauf herumlagen, mit Hilfe von Streichhölzern zwar Tiere und Männchen basteln, sie aber nicht essen kann. Die Esskastanie dagegen war im südlichen Teil der Alpen für die armen Leute ein Grundnahrungsmittel und so etwas wie der Kartoffelersatz. Ich habe gelesen, dass es dort in den Dorfgemeinschaften eigene Kastanienhäuser gab – ähnlich wie Großbacköfen –, in denen die Maronen tagelang geröstet wurden. Alle gaben dort ihre Körbe ab, die gezählt wurden, damit die Rückgabe gerecht zuging. Das Röstverfahren zieht sich über Tage hin und soll hitzetechnisch kompliziert sein – danach gibt es ein großes Fest. Das Wissen darüber wurde von den Vätern an die Söhne weitergegeben – der Kastanienröster der Dorfgemeinschaft zu sein, war und ist eine verantwortungsvolle Ehrenposition.
In den Städten gab es früher im Winter die berühmten Maroni-Stände, die auch in der Literatur der vorvorigen Jahrhundertwende – als die Frauen im Winter ihre Hände noch in Pelzmuffs steckten – oft erwähnt wurden. Ich habe schon seit vielen Jahren keinen Maroni-Brater mehr gesehen – scheint ein aus der Mode gekommenes Gewerbe
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