100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
auch das berüchtigte Hormonfleisch zu Hause, das auf dem Teller freilich permanent die Erwartungen einer soliden Bevölkerungsmehrheit an »gutes Rind« erfüllt: Es ist butterzart, schimmert schön rot und schmeckt. Dennoch esse ich es nicht gern.
Das Abhängen von Fleisch war früher, jedenfalls in Europa, gang und gäbe, gehörte zu unserer Tradition. Ein Metzger der älteren Generation hat mir gegenüber diese Fleischreifung einmal ausgiebig gelobt: »Das Rinderfleisch entwickelt sich, ruht, wird von einer Fäule befallen, die ich gerne als Edelfäule – ähnlich wie bei den Trauben für einen Sauternes oder eine Beerenauslese – verstanden wissen möchte. Für den Metzger ist das ein gewisser Verlust, denn nach spätestens drei, vier Wochen muss man eine dicke Scheibe abschneiden.« »Mein« Metzger strich sich über den kahl rasierten Kopf und machte dann mit beiden Händen ein Zeichen, das ich als »mindestens zehn Zentimeter« deutete. »Aber heute macht das niemand mehr, die Leute haben ja Angst vor der Fäule. Wer versucht, Fleisch abzuhängen, hat dauernd Ärger.« Wilder Schimmel kann gefährliche Toxine bilden. Die werden in erster Linie dann ein Problem, wenn der Metzger beim Abschneiden des faulen Stücks spart. Oder wenn das Knochenmark des Tieres vom Schimmel befallen wird.
Ein paar Metzger und Wirte in deutschen Landen haben sich trotzdem auf das Wagnis »Fleischreifung« eingelassen.
Aber auch ohne Abhängen kann jeder versuchen, ein gutes Stück vom Rind zu bekommen. Regel Nummer 1: Weibliche Tiere oder kastrierte männliche Rinder, Ochsen also, schmecken besser. Regel 2: Die Optik kann täuschen. Auch vermeintlich schöne, rote Stücke können in der Küche hart wie Schuhsohlen ausfallen. Regel 3: Fett ist ein Geschmacksträger. Wer sich beim Metzger stets ein mageres Stück abschneiden lässt, ist selber schuld. Fett gehört dazu, man kann es ja nachher abschneiden. Wenn das Fleisch von zarten Fettadern durchzogen ist, wird man die, einmal gebraten, ohnedies nicht mehr bemerken. Und Regel 4: Die Rasse macht’s. Verschiedene Rinderrassen schmecken sehr unterschiedlich. Massentauglich ist das magere, zarte Charolais. Wer das mag, sollte auch einmal die »Blonde d’Aquitaine« probieren, eine Rasse mit viel Fleisch und wenig Fett. Oder Simmentaler Rind, das ursprünglich von den Schweizer Alpen stammt.
Mir persönlich schmeckt Salers von den Auvergner Weiden. Es hat mehr Aroma, wird von feinem Fettgeäder durchzogen und verfügt noch über Muskeln – auf Charolais-Esser wirkt es deshalb hart.
Schließlich die Regel 5: Auf den Züchter kommt es an. Wie bei allen Zuchttieren hängt der Geschmack von Rind von seinen Lebensbedingungen ab: Was hat es gefressen? Durfte das Tier in – relativer – Freiheit Auslauf genießen? Wurden die Tiere gequält oder auf andere Weise gestresst? Das sind nicht nur »Tierschutzfragen« – all diese Faktoren wirken sich auf den Geschmack des Fleisches aus.
Wichtig ist auch das Alter des Tieres – allerdings gibt es auch für Stücke alter, zäher Rinder gute Rezepte, etwa für ein geschmortes Rippenstück.
In letzter Zeit war das Rind ja leider durch BSE, den »Rinderwahnsinn«, in Verruf geraten. Selbst schuld: Was müssen profitgeile Züchter auch friedliche Pflanzenfresser mit Tiermehl hochmästen. Sicher ist das ein Extremfall nicht artgerechter Tierhaltung – und ein Warnzeichen, was passieren kann, wenn man Tier und Natur missachtet. Inzwischen ist Rind auf unseren Tellern wieder willkommen, fast jedes Stück, von der Zunge bis zum (Ochsen)Schwanz, kann ein Hochgenuss sein.
Alexandre Dumas überliefert im »Wörterbuch der Küche« ein Rinderfestmahl mit nicht weniger als 24 Gängen, das von Richelieu und seinen Gästen genossen wurde: von Nieren mit Zwiebeln über Ochsenschwanz mit Maronenpüree, Zunge in Rotweinsauce, Krapfen vom Hirn, mariniert im Pomeranzensaft, gezuckerter Marktorte, Rind in Aspik und Rindergelee mit Mirabellen, um nur einige zu nennen.
Nun soll es Menschen geben, die Rindfleisch »langweilig« finden. Die sollten, statt immer nur auf’s Steak zu starren, mal in alten Rezepten schmökern. Brillat-Savarin etwa gelang ein vorzügliches, getrüffeltes Rinderfilet. Da wurde ein großes Filet der Länge nach aufgeschnitten, Schwarze Trüffeln, blanchierte Pistazien, entsalzene und entsteinte Oliven wurden dann in sorgsam ausgestochene Löcher entlang des Schnitts gefüllt. Mit Speck gespickt und ein bis zwei Tage in Weißwein
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