100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
ein paar unübliche Stücke, z. B. getrocknete oder geräucherte Rentierherzen. Nach alter Sami-Tradition werden Rentiere natürlich als ganzes Tier verwertet, Rezepte gibt es selbstverständlich auch für Zunge, Knochenmark und so gut wie alle anderen Teile. Klingt das jetzt unappetitlich? Das Herz ist ein großer Muskel, alle Karnivoren lieben Muskelfleisch, und fast jede Region Europas verfügte früher auch über entsprechende Rezepte: »Love in disguise« (Verborgene Liebe) zum Beispiel ist nicht der Titel des letzten Films mit Julia Roberts, sondern ein britisches Rezept aus Herefordshire, das gerolltes und gefülltes Kalbsherz in Fadennudeln und Semmelbröseln meint.
Neben dem Geschmack gefiel mir am Rentier, dass es sich wirklich noch um ein Tier handelt, das in der Natur lebt. Sie wandern zwischen Wald und Gebirge, der Mensch schützt die Herden wenn möglich vor Raubtieren, wie z. B. Wölfen, und trennt die schlachtreifen Tiere von der Herde. Im Sommer ernährt sich die Herde von Gras, im Winter von Flechten, Pilzen und Moosen.
Seit Jahrzehnten werden die Herden auch mit geländegängigen Motorrädern oder Snowmobilen und sogar mit Hubschraubern getrieben und gejagt, wobei deren Lärm die Tiere stresst. Angesichts ihres Lebensraums weit im Norden hoffe ich, dass die Rentiere von Dioxin in Futtermitteln, Antibiotika-Spritzen und Turbo-Mast verschont bleiben werden. Bisher wurde jedenfalls erst ein – wenn auch tragischer – Zwischenfall bekannt: Nach der Katastrophe von Tschernobyl mussten Zehntausende von Rentieren gekeult werden.
Rind
Mir als Österreicherin lässt das Stichwort »Tafelspitz« automatisch das Wasser im Mund zusammenlaufen, und die Geschmacksknospen tanzen in Vorfreude Wiener Walzer. Was wäre die gute Küche ohne Rindfleisch? Und selbst wenn es wahr wäre, dass Rinder wesentlich an der Erderwärmung beteiligt sind – was ja sogar eingefleischte Vegetarier, so sie bei Verstand sind, zum Lachen bringt: »Lieber würd ich sündigen, als ohne Rindfleisch sein« – und wenn die ganze Welt zum Teufel geht, würde der Wiener noch hinzufügen.
Apropos: Der österreichische Schriftsteller und Genussmensch Joseph Wechsberg entreißt in seinem zum Hineinbeißen guten Buch »Forelle blau und schwarze Trüffeln. Die Wanderungen eines Epikureers« ein Wiener Hotel und dessen Restaurant der Vergessenheit, dessen Köche und Kellner sich Anfang des vergangenen Jahrhunderts ganz speziell den Rindfleischgerichten hingegeben haben. Es hieß Meissl & Schadn, befand sich in der Wiener Innenstadt und bewirtete Gäste vom Fiakerfahrer bis zum Hofrat und Staatsoberhaupt. In diesen heiligen Hallen wussten alle – die Gäste eingeschlossen – die vierundzwanzig Sorten Fleisch, die ein Rind zu bieten hat, noch zu buchstabieren, als da wären: Tafelspitz, Tafeldeckel, Rieddeckel, Beinfleisch, Rippenfleisch, Kavalierspitz, Kruspelspitz, Hieferschwanzl, Schulter schwanzl, Schulterscherzl, Mageres Meisel (oder: Mäuserl), Fettes Meisel, Zwerchried, Mittleres Kügerl, Dünnes Kügerl, Dickes Kügerl, Bröselfleisch, Ausgelöstes, Brustkern, Brustfleisch, Weißes Scherzl, Schwarzes Scherzl, Zapfen und Ortsschwanzl. Muss dem noch etwas hinzugefügt werden? Möge das Rind ewig leben!
Und mögen wir das Rind lieben. Auch wenn die meisten Menschen sich ja eher nur für die Steaks interessieren. Um das mal vorwegzunehmen: Wenn es darum geht, Fleisch in die Pfanne zu hauen, geht nichts über »Dry aged Beef« vom Black Angus-Rind, das nach amerikanischem Vorbild trocken abgehangen wird. Dort wetzen die Metzger ihre Klingen für Skirt Steak, Top Butt Flap (die französische Bavette d’Aloyau aus dem hinteren Bauchlappen), Top Butt Cap (der Tafelspitz), T-Bone, Porterhouse, Striploin (Zwischenrippenstück), Tenderloin (unser Filet) und Rib-Eye (Entrecôte; aus der Hochrippe). Amerikanische Ge nießer schwören auf das Porterhouse-Steak, wie es bei Peter Luger in Brooklyn serviert wird, oder das »Strip Steak« bei »Palm« an der Westseite der Second Avenue/45 Straße. Die Rindviecher für Letzteres tragen die Auszeichnung USDA Prime (für United States Department of Agriculture); sie wird an gerade mal zwei Prozent des amerikanischen Rinderbestands vergeben. Und echte Fleischfreunde legen größten Wert auf die Feststellung, dass ein gutes Steak heute noch so schmeckt wie USDA Prime vor dreißig Jahren. Das aber wäre eine andere Geschichte …
Was heißt überhaupt »amerikanisches Vorbild«? Eigentlich ist dort ja
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