100 Prozent Anders
setzten uns in den weißen Kadett von Steffen. Los ging’s!
Als wir uns dem Sporting Club näherten, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Straßen dorthin waren schon verstopft mit den Autos der Schönen und Reichen dieser Welt. Die Ladies in den Cabrios stellten ihren Schmuck und ihre Dekolletés zur Schau. Bevor wir uns versahen, standen wir auf der Zufahrt zum Sporting Club, und die Autokolonne schob uns Millimeter für Millimeter Richtung Hauptportal.
Vor uns ein Ferrari, davor ein Rolls Royce, hinter uns ein Porsche, noch ein Ferrari, ein AMG-Mercedes. Und mitten drin wir im alten weißen Opel-Kadett! Am Eingang stand schon die Security, um die Gäste in Empfang zu nehmen. Die Stammgäste wurden mit freundlichem Nicken begrüßt, bei anderen wurde nach der Einladung nachgefragt. Natürlich hatten wir keine Einladung. Wer kannte damals schon Thomas Anders und Steffen aus Koblenz?
„Was machen wir jetzt?“, fragte Steffen besorgt. „Ich habe keine Ahnung“, antwortete ich. „Lass mich mal überlegen.“ Da ich nicht am Steuer saß, hatte ich Zeit, mich umzusehen – und ich entdeckte den Eingang zur Tiefgarage. „Tiefgarage“ sagte ich, „das ist es!“ Wir fuhren also gaaaanz cooool am Haupteingang vorbei in Richtung Tiefgarage. Drinnen, irgendwo zwischen den Luxuskarossen, parkten wir unsere alte Schüssel. Wir stiegen aus und sahen uns um. Am einen Ende der Parkebene sahen wir einen prunkvoll beleuchteten Fahrstuhl. Wir wussten, dass war unsere Eintrittskarte in die Welt der oberen Zehntausend. Geschafft!
Wir betraten den Fahrstuhl und drückten „Halle de réception“, Empfangshalle. Nach zehn Sekunden Fahrt öffnete sich die Tür, und wir verließen den Fahrstuhl. Wir standen mitten in der prachtvoll geschmückten Halle. Oh, mein Gott! Was war denn hier los? Bussi hier, Bussi da, klirrende Champagnergläser, lautes Gelächter, ausgelassene Stimmung. Smokings und Haut-Couture, Brillanten, von denen man blind werden konnte – und wir standen da in unseren weißen C&A-Anzügen. „Und jetzt?“, presste Steffen durch die Zähne hervor. „Och“, meinte ich, „ich weiß ja auch nicht, ist ein bisschen langweilig hier, oder?“ So schnell, wie wir aus dem Fahrstuhl gekommen waren, so schnell waren wir auch wieder drin. „Ich habe Hunger.“ Steffen versuchte die Situation zu retten. Ich nahm sein Angebot dankend an: „Ich auch.“ Ich bin sicher, dass die Security am Eingang noch nie einen weißen Opel-Kadett gesehen hatte, der wie von der Tarantel gestochen aus der Tiefgarage bretterte und das Gelände verließ.
Wir fuhren zum Hafen und landeten in einer ollen Pizzeria. Eine Stunde später, nach einer Pizza, einer Portion Spaghetti-Carbonara und vier Colas, waren wir um schlappe 110 Mark ärmer. Und total frustriert. Über uns selbst, weil uns im Sporting Club der Mut verlassen hatte. Wir hatten uns von dem teuren Ambiente so einschüchtern lassen, dass wir uns nicht mal getraut hatten, wenigstens einen Drink an der Bar zu bestellen. Es wäre nur ein winziger Schritt gewesen, aber so verdammt wichtig für unser Selbstvertrauen. Doch wir waren zu feige gewesen.
Dieser Abend hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Irgendwie wirkte diese Welt auf mich faszinierend, und auf der anderen Seite wurde mir mit voller Härte bewusst, dass ich noch meilenweit von diesem Glitzerleben entfernt war.
Nach sechs Tagen brachen wir unseren Aufenthalt am Jet-Set-Nabel der Welt ab. Wir hatten definitiv genug vom Campen. Und Geld hatten wir auch keines mehr.
Steffens Eltern besaßen eine Wohnung in St. Moritz, und da diese Destination ohnehin auf unserem Heimweg lag, entschieden wir uns für ein paar Urlaubstage in den Bergen.
Ohne Zweifel, St. Tropez, Monaco und die ganze Côte d’Azur hatten mich nachhaltig beeindruckt. Die ausgelassene Leichtigkeit, die Jachten, die Anwesen in den Hügeln. Alles zeigte mir, dass es noch mehr gab als Mörz und Koblenz. Nicht, dass ich mich dort nicht wohlgefühlt hätte, aber ich wusste jetzt, dass mir das Leben noch so viel mehr zu bieten hatte.
***
Als wir wieder zuhause waren, schwärmte ich meinen Eltern noch tagelang von meinen Erfahrungen und der glamourösen Welt im Süden Frankreichs vor. Eines Morgens erschien meine Mutter dann bei mir im Schlafzimmer, auf ihrem Gesicht spiegelte sich eine gewisse Genugtuung. Sie hielt einen Brief in der Hand, den sie mir grinsend entgegenstreckte: Meine Annahme an der Universität Mainz fürs
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