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100 Prozent Anders

100 Prozent Anders

Titel: 100 Prozent Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Anders
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Wintersemester 1982. Willkommen in der Realität. Danke, Mama!
    Dennoch ließ mich der Gedanke, dass ich im Leben zu etwas Großem bestimmt war, seit diesem Sommer nicht mehr los. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, dass das Leben so viele verschiedene Facetten bereithielt. Auch für mich. Ich wusste, dass ich berühmt und reich werden wollte und dass ich es schaffen konnte, wenn ich nur fest genug an mich glaubte!
    Viele Jahre später, als ich mit Modern Talking einen Hit nach dem anderen landete, besuchte ich in Monaco den Sporting Club. Und siehe da, ich fühlte mich unter all den wichtigen Menschen wie einer von ihnen – und fand es plötzlich gar nicht mehr erstrebenswert. Heute nerven mich diese aufgetakelten, oberflächlichen Wichtigtuer nur noch, und ich ziehe einen gemütlichen Abend mit Freunden bei uns daheim in Koblenz jedem Trip nach Monaco vor.

Nach meinem Urlaub in Südfrankreich fing für mich der „Ernst des Lebens“ an. Ich begann mein Magister-Studium an der Gutenberg-Universität in Mainz in den Fächern Germanistik, Publizistik und Musikwissenschaften. Es war nicht meine Traumkombination, aber auf der einen Seite machte mir das Schreiben großen Spaß, und auf der anderen Seite hoffte ich, über das Nebenfach Musikwissenschaften vielleicht nach ein paar Semestern in ein reines Musikstudium hineinrutschen zu können.
    Im Grunde hatte ich aber die Schnauze voll vom Lernen. Ich wollte Musik machen! Und nicht schon wieder an einem Holztisch sitzen und Lernstoff in mein Gehirn pauken müssen. Mainz liegt etwa eine Stunde von Koblenz entfernt, und da ich keine Lust hatte, mir auf dem Campus der Universität eine Studentenbutze zu mieten, kaufte ich mir ein „Tramperticket“ der Deutschen Bahn. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber es kostete, so glaube ich, 280 Mark, und als Student konnte man damit kreuz und quer durch die Republik reisen.
    Von Anfang an legte ich meine Vorlesungen so, dass ich nicht in Herrgottsfrühe nach Mainz musste. So gegen acht Uhr aufzustehen, um zehn Uhr gemütlich den Zug nach Mainz zu nehmen, damit ich ab zwölf Uhr Vorlesungen besuchen konnte, mit diesem Zeitplan konnte ich leben.
    Ich kann mich nicht mehr an vieles erinnern, aber was mir aus meinen Germanistikveranstaltungen im Gedächtnis haften blieb, ist, dass Walter von der Vogelweide der bedeutendste Lyriker des Mittelalters war. Auch die langweiligen Stunden der Musikwissenschaft haben sich nachhaltig in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich wollte mit Musik meinen Lebensunterhalt verdienen und mich nicht durch die Jahrhunderte der Musikgeschichte quälen müssen. Ich verabscheute diese Theoriesitzungen. Im Gegensatz zu meinen Kommilitonen. Wenn ich während eines Seminars mal wieder kurz vorm Einschlafen war und mich im Raum umsah, wie es den anderen ging, sah ich lauter verschrobene Musik-Einsiedler, die ihren Lebensinhalt in der Analyse der verschiedenen Musikepochen zu finden glaubten. Ob von ihnen überhaupt einer ein Instrument spielen konnte oder schon einmal richtig Musik gemacht hatte, wagte ich zu bezweifeln.
    Einmal legte unser Professor eine Schellackplatte auf. Klar, sie hatte bereits einige Jahrzehnte Staub in ihren Rillen sitzen. Als der Professor ganz behutsam die Nadel aufsetzte, konnte man zwischen dem ganzen „Kkkrrrrrrrrgggkkkrrrrrrrrkkkkkkkkkkkk“ einen weiblichen Sopran erahnen. Ich schaute etwas verwundert und genervt und flüsterte meinem Nachbarn ins Ohr: „Hey, da versteht man ja nix. Was soll der Mist?“ „Psssst“, zischte der zurück, „das ist die Callas.“
    Entschuldigung, das konnte sein, wer wollte! Dieses kratzende Geräusch verursachte bei mir Schmerzen im Gehörgang.
    Während der Vorlesung überlegte ich schon, was ich in der darauffolgenden Stunde machen sollte. Die Entscheidung stand schnell fest. Ich hatte ja mein Tramperticket. Damit konnte ich doch gleich mal nach Wiesbaden fahren und ein Tässchen Kaffee trinken. Der Tag hatte wieder eine Perspektive.
    Ich hasste mein Stundentenleben. Ich wusste aber, einfach nur die Zeit zu vertrödeln, das würde mir auch nichts bringen. Schon auf dem Weg nach Mainz war ich total genervt, und meist strandete ich dann entweder in Frankfurt oder Wiesbaden, auch mal in Köln oder Düsseldorf, ging Bummeln oder Kaffee trinken. Das war jedoch auch keine Lösung. Ich wollte Musik machen!
    Ich offenbarte meinen Eltern, dass ich nicht mehr weiterstudieren würde, zumindest jetzt nicht. Ich hatte noch nie die Möglichkeit gehabt,

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