100 Prozent Anders
neue, interessante Leben, diese geschäftige Hektik gut, um so den Schmerz über den Tod ihrer Mutter verarbeiten zu können. Durch Modern Talking war sie von ihrer Trauer abgelenkt.
Dieter und ich gaben Interviews, hatten TV-Auftritte, und die ersten Konzertanfragen trudelten ins Haus.
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Als Solokünstler Thomas Anders hatte ich natürlich auch einen Manager: Siggi König. Er kam ganz aus der Nähe und war das, was man einen soliden, pragmatischen, derweil auch ziemlich gemütlichen Menschen nennt. Bevor Siggi sich als Künstlermanager selbständig gemacht hatte, war er hessischer Beamter, was sich in seinem ganzen Verhalten widerspiegelte. Der Tatsache geschuldet, dass Siggi mittlerweile verstorben ist und es mir die Pietät verbietet, in diesem Fall zu sehr aus dem Nähkästchen zu plaudern, fasse ich einfach zusammen, dass er als Manager für mich als deutschsprachigem Sänger, gemessen an seinen Möglichkeiten, das Bestmögliche herausholte. Siggi war ein Unikum, und bis heute haben sich Erlebnisse mit ihm in mein Gedächtnis eingebrannt.
Wenn Siggi mich bei meinen Eltern für Jobs oder Promotion-Verpflichtungen abholte, parkte er seinen Wagen vor dem Haus meiner Eltern. Meine Mutter öffnete. Auf halbem Weg zur Haustüre rief er ihr schon in breitem Hessisch entgegen: „Ei, Frau Weidung, habbe se denn emol a Tässche Kaffee fer misch? Isch bin jo schon gans ferdisch mit de Nerve.“
Noch Fragen zu Siggi? Nein? Danke!
Also, meinem Siggi spielte ich im Oktober 1984 natürlich voller Stolz die Single „You’re My Heart, You’re My Soul“ vor. Ich war auf seine Reaktion gespannt. Doch erst mal sagte er kein Wort. Irgendwann presste er dann ein langgezogenes „Ah ha“ aus sich heraus. Nach einer Pause von mehreren Sekunden fragte er: „Host du des in Hambursch gesunge? Ei, wer will donn so ebbes horsche?“
„Mensch, Siggi“, entgegnete ich leicht frustriert, „das ist einfach mal was Modernes. Außerdem findet die Plattenfirma den Song auch Klasse.“ – „Ei, ich sach dir gleisch, die habbe net immer Rescht. Isch glaub, des mit dem Lied werd nix.“
Als Siggi nach Hause fuhr, war ich genervt. Auch wenn er anderer Ansicht war über den Song als ich, die Plattenfirma oder Dieter Bohlen und Nora – Diplomatie wird bei mir „anders“ geschrieben. Es musste für mich und meine Karriere einfach noch etwas anderes geben, als von einem Radio-Schlagerfestival zum nächsten zu ziehen. Ich hatte auch keine Lust mehr, ständig in Kirmeszelten zu singen und dort auf der Bühne den Schlagerfuzzi zu geben. Ich überlegte lange, wie ich mir meine kommende Laufbahn vorstellte. Schließlich sprach ich mit Siggi und trennte mich vertragsgemäß zum März 1985 von meinem Manager.
So, nun war März. Modern Talking stand auf Platz eins der Charts, und Siggi merkte plötzlich, „dass er e bisschje gründlisch denewe gelejje hot“ mit seiner Prognose zum möglichen Erfolg von Modern Talking. Plötzlich verklagte mich Siggi also auf Schadensersatz.
Oh, Mann! Ein Traum geht in Erfüllung, man hat jahrelang darauf hingefiebert und -gearbeitet, das Leben könnte jeden Tag gefeiert werden, und dann kommt ein Schreiben vom Anwalt mit einer Klage auf Schadensersatz in Höhe von 500 000 Mark!
An dieser Stelle sei all den aufstrebenden jungen Künstlern, die dieses Buch lesen, gesagt: Passt auf! Es gibt viele Menschen, die euch euren Erfolg gönnen. Aber es gibt noch viel mehr Menschen, die es nicht tun.
Der Streit mit Siggi zog sich über unsere Anwälte wochenlang hin. Bis sich mein Vater irgendwann einschaltete und sich mit Siggi König auf ein Bier traf. Mein Vater erklärte ihm, dass seine Forderungen einfach überzogen seien und ich gewillt sei, es zu einem Prozess kommen zu lassen. Siggi einigte sich mit meinem Vater, was im Endeffekt so aussah, dass ich Siggi einen neuen 200er Mercedes kauften musste – und ich ihn anschließend gedanklich für immer in die Wüste schickte.
Modern Talking war wochenlang „Top of the Charts“ in Deutschland, und plötzlich zog auch das Ausland nach. Täglich kamen neue Promotion-Anfragen. Dieter und ich lebten mitten in einem Traum. Nummer eins in ganz Europa. „The First Album“ erschien in Deutschland und schaffte es ebenfalls an die Spitze. „You Can Win, If You Want“, unsere zweite Single, wurde veröffentlicht und landete … na … auch auf Nummer eins.
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Langsam stellten sich aber auch die Schattenseiten des Ruhms ein. Durch den immensen Erfolg von Modern
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