100 Prozent Anders
trotzdem. So rief ich am nächsten Tag bei der Plattenfirma an und wollte die Situation besprechen. Ich wollte einfach mal klären, dass nicht nur ich oder Nora immer diejenigen waren, die Schwierigkeiten machten, sondern durchaus auch mal der liebe Dieter.
Ich hatte mit einem Donnerwetter für Dieter gerechnet, doch die Antwort der Plattenbosse haute mich um: „Das macht doch nix. So etwas kann doch mal passieren. So ist er nun mal, der Dieter!“
Ich war perplex. Was für Weicheier!
Nach einem Jahr und circa 20 Millionen verkauften Platten sah die Welt schon ganz anders aus. Es war nichts mehr da von dieser jungfräulichen Aufbruchsstimmung und grenzenlosen Freude aus dem Frühjahr 1985. Es war alles Business. Dieter fing an, die Künstlerin C. C. Catch zu produzieren und hatte somit ein neues Projekt für sich entdeckt.
Nora gab Dieter Kontra, wo es nur ging. Dieter versuchte, bei Modern Talking immer und überall einen Vorteil einzuheimsen, und sie wusste das. Längst ging es bei ihm nicht mehr nur um Modern Talking, sondern vor allem um das Unternehmen Dieter Bohlen.
Natürlich trug Nora, auf Grund ihrer Eifersucht, dazu bei, dass die gesamte Situation immer angespannter wurde.
Zudem vermute ich, dass Dieter nicht mit starken Frauen umgehen kann. Er ist einfach ein totaler Macho. In seinen Augen, so mein Eindruck, müssen Frauen vor allem schön und schlank sein, ansonsten haben sie die Klappe zu halten. Ich hatte das Vergnügen (und manchmal auch die Qual), diverse Freundinnen von Dieter kennenzulernen – bei weitem nicht alle, dafür gab es einfach zu viele. Er ist ein „Wiederholungstäter“, jedes Mal dürfte das in etwa so abgelaufen sein: erst empfiehlt er den Mädchen, den Umgang mit ihren Eltern und Freunden einzuschränken, dann rät er ihnen, das alte Handy abzugeben. Sie erhalten dann ein neues, das er kontrolliert, und dann sind die Brüste dran …
Vermutlich spielte sich das auch noch genau in dieser Reihenfolge ab. Reden durften die Mädels meist nur dann, wenn er es ihnen erlaubte.
Und plötzlich war da eine energische, selbstbewusste Nora, die ihm permanent Kontra gab. Relativ schnell fand Nora Dieter Bohlen einfach nur noch ätzend. Seine Art, sein ganzes arrogantes Gehabe waren für sie schrecklich. Zum ersten richtigen Eklat zwischen den beiden kam es während eines TV-Auftritts von Modern Talking. Nora und ich gingen zu Dieter in die Garderobe. Er lag auf dem Sofa. Wir also rein, sagten: „Hallo, Dieter. Wie geht’s?“ Darauf er, und ich bin nicht sicher, ob er das scherzhaft meinte: „Was heißt hier ‚Hallo, Dieter‘? Ab sofort will ich, dass ihr mich mit erfolgreichster Musikproduzent der Welt ansprecht.“ Ich verdrehte nur die Augen. Ich empfand es, wie so oft, als viel zu anstrengend, auf Dieters Geblubber zu antworten. Aber Nora konnte natürlich nicht die Klappe halten. Seelenruhig antwortete sie ihm: „Pass mal auf, Dieter. Es ist mir total egal, wie du von uns angesprochen werden möchtest. Für mich bist und bleibst du ein Arsch.“ Dann drehte sie sich um und entschwand. Dieter war in dem Moment sprachlos, was ich nur wenige Male erlebt habe.
Natürlich trug der Vorfall nicht gerade zur Heiterkeit hinter den Kulissen bei. Aber Nora stand nun mal nicht auf Labertaschen und sinnfreies Geschwätz. Nora war clever. Das hatte auch Dieter schnell kapiert. Jedes Mal, wenn die beiden im selben Raum waren, ist die Situation nach zwei Minuten eskaliert. Nora war wohl viel zu stark für Dieter. Mit ihrem selbstbewussten Auftreten, so hatte es den Anschein, machte sie ihm das Leben zur Hölle. Erst viele Jahre später habe ich kapiert, warum die beiden sich so wenig mochten – Nora und Dieter waren sich vom Typ und vom Charakter her unglaublich ähnlich. Und wer bekommt schon gern ständig den Spiegel vorgehalten?
Zudem hatten wohl beide unterbewusst Angst, dass der andere mehr Einfluss auf mich haben könnte. Sie wollten beide verhindern, dass ihnen ihr Thomas weggenommen wurde. Sie wollten mich beide besitzen. Dieter Bohlen will die Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, immer auf eine gewisse Art besitzen. Sobald er aber einen eigenen Charakter ausbildet und gegen Bohlen aufmuckt, kann es sein, dass er schnell weg ist vom Fenster. Auch hier wieder deutliche Parallelen zu Nora.
Die wohl nachhaltigste Duftmarke, die Nora gesetzt hat, war die goldene Kette mit Nora-Anhänger, die ich zu Modern-Talking-Zeiten trug. Heute noch, also mehr als 25 Jahre später, werde ich
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