100 Prozent Anders
ich einen Anruf. Wir wohnten im „Atlantic“, in einer Suite. Als das Telefon klingelte, nahm ich den Hörer ab. „Ja, bitte“, sagte ich. „Hallo, Thomas, bist du es?“, fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Hier ist Thomas Stein.“ Thomas Stein war zum damaligen Zeitpunkt Geschäftsführer der Schallplattenfirma Teldec, und er machte mir ein Angebot. Thomas Stein wollte mich unbedingt als Solokünstler für seine Firma gewinnen. Mit allem Pipapo. Er bot mir vier Millionen Mark für einen Vertrag. Ich lehnte ab. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll von der Musikbranche und wollte einfach nur meine Ruhe haben. Keine Termine, keinen überfüllten Terminkalender, keine Fotografen, keine Hotelzimmer, keine muffigen Garderoben und keinen ewig schlecht gelaunten Bohlen. Nein, ich wollte frei sein! Genau das erklärte ich auch Thomas Stein. Er war zwar enttäuscht über meine Absage, aber ich glaube, er verstand mich.
Nora und ich zogen nach Los Angeles.
***
Wir behielten zwar das Penthouse in Koblenz und unsere Wohnung in Berlin, aber wir suchten nach einer Wohnung in Los Angeles. Nora hatte sich in die Stadt verliebt. Diese Größe, dieses freie Leben. Ohne Konventionen und ohne rund um die Uhr unter Beobachtung zu stehen, wie wir es aus Deutschland gewohnt waren. Nach unserem ersten Aufenthalt in Los Angeles flog Nora noch einmal mit unserer Sekretärin hin. Eines Abends rief sie mich in Deutschland an. „Hallo, ich bin’s. Ich habe eine Überraschung für dich.“ „Das klingt ja interessant“, sagte ich, „was ist es denn?“ Nora flötete in den Hörer: „Ich habe eine Wohnung angemietet. Ein ganz tolles Appartement in West-Hollywood. Und weißt du, was das Tollste ist? Wir wohnen im Nachbarhaus von Bette Davis.“ „Aha“, sagte ich, „na, das wird ja sehr interessant.“
Ich muss sagen, dass ich während meiner Aufenthalte in Los Angeles wirklich nur ein einziges Mal Bette Davis gesehen habe. Sie stand auf ihrer Terrasse, trug einen Frottee-Turban und einen Bademantel und schaute in die Ferne.
Diese Hollywood-Diven waren schon von einem besonderen Schlag. Bette Davis feierte ihren Durchbruch als Schauspielerin in den Dreißigerjahren und galt in Amerika als Superstar. Sie war vier Mal verheiratet und starb am 6. Oktober 1989 im französischen Neuilly-sur-Seine. Immerhin, ich hatte sie ein Mal live gesehen!
Nora und ich zogen also in das Appartement in West-Hollywood, gerade mal 300 Meter südlich vom Sunset Boulevard. Das Haus gehörte Maury Grossman, der mit seiner Frau in der Wohnung über uns wohnte. Es war eine verrückte Zeit. Wir lernten unglaublich viele spannende Leute kennen. Anwälte, Künstler, Lebenskünstler, Schriftsteller, Normalos – und Ethel.
Ethel war unglaublich. Sie war etwa Ende 70 und sah aus wie die Mutter von Nanny Fein aus der Fernsehserie „Die Nanny“. Für diejenigen, die die Sendung nicht kennen, möchte ich Ethel gerne beschreiben. Ethel war genauso, wie man sich eine typisch ältere Frau aus Beverly Hills vorstellt: Blondes, explodiertes Haar, lange rote Fingernägel, immer grell geschminkt und immer typisch amerikanisch. Ethel war zwar in Kanada geboren, die Liebe hatte sie in den Vierzigerjahren aber nach Los Angeles geführt. Das Paar bekam einen Sohn.
Doch wie das Leben so spielt, verließ sie ihren Mann und war auf sich alleine gestellt. Und das zur Mitte des letzten Jahrhunderts. Ein Skandal! Doch Ethel ließ sich nicht unterkriegen. Sie war Jüdin und hatte ein unglaubliches Talent für Geschäfte. Sie überlegte sich: Was kann ich gut, wodurch kann ich meinen Sohn ernähren?
Was sie am besten konnte war – stricken. Also kratzte Ethel ihre letzten Dollar zusammen, kaufte sich Wolle und strickte einen verrückten Pullover. Der musste nun unter die Leute. Ohne einen Cent in der Tasche ging sie in die teuersten Kaufhäuser von Los Angeles, schlenderte stundenlang umher und tat so, als würde sie einen bestimmten Artikel suchen. Ihr Plan war simpel, sie wartete nur darauf, dass jemandem ihr verrückter Pullover auffallen würde.
Nach einer Woche war es dann so weit, Ethel wurde gefragt, wo sie ihren wundervollen Pullover gekauft habe. Ethel war clever und sagte nur: „Oh, den habe ich nicht gekauft. Ich habe ihn selbst designed.“
Das Schicksal geht manchmal seltsame Wege, so auch in diesem Fall. Die Dame, die sie fragte, arbeitete bei einem Modemagazin und schrieb einen Artikel über Ethel. Nach der Veröffentlichung konnte sie sich
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