100 Stunden Todesangst
an.
„Schächt.
Leopold Schächt.“
Albertini
sagte: „Der Dieb heißt Ludwig Kniepe. Er ist einschlägig vorbestraft — und gibt
alles zu. Wie sollte er auch anders. Ihnen, Herr Schächt, können wir einen
Vorwurf nicht ersparen. Es war leichtsinnig, den Koffer so aus den Augen zu
lassen. Zu gewissen Zeiten ist hier auf dem Hbf-Gelände jeder zweite ein Dieb.“
Schächt nickte.
„Jetzt
müssen Sie uns über den Kofferinhalt Angaben machen“, fuhr Albertini fort. „Und
es ist Vorschrift, das dann zu überprüfen.“
„Weshalb?“
„Zum einen
beweist es, daß der Koffer tatsächlich Ihnen gehört. Zum anderen wegen des
Finderlohns. Nennen wir’s mal so. Christian steht eine Belohnung zu.“
Schächts
Blick irrte umher.
„Das ist
doch Ihr Koffer?“ vergewisserte sich Fench.
Schächt
nickte abermals.
Albertinis
Finger berührten das Zahlenschloß.
„Leer ist
er nicht. Was enthält er denn nun?“
Schächt
schluckte. „900 000 Mark.“
Stille trat
ein.
Der Lärm
der Halle draußen war nur als Summen zu vernehmen.
Hier im
Wachlokal schien allen — außer Schächt — der Atem zu stocken.
Schächt
wischte sich über die Stirn.
„Ich muß
das erklären“, sagte er tonlos. „Das Geld ist... Lösegeld. Für meine Tochter.
Jutta — sie ist zehn — wurde vorgestern entführt. Der Täter rief uns an. Er
schärfte uns ein, die Polizei aus dem Spiel zu lassen. Sonst könnte er nicht
für Juttas Gesundheit garantieren. Daran haben wir — meine Frau Marga und ich —
uns gehalten. Ich bin jetzt auf dem Weg zum Ort der Geldübergabe.“
„Ja, um
Himmels willen!“ sagte Fench. Er war völlig verblüfft. „Wohin wollen Sie?“
„Das werde
ich Ihnen nicht sagen. Und ich bitte Sie, mir auf keinen Fall zu folgen. Nichts
darf geschehen, was Jutta gefährdet. Als ich eben zum Kiosk ging — da war ich
nahe daran, schlappzumachen. Ein Schwächeanfall. Eine Taschenflasche Cognac
wollte ich mir kaufen.“
„Als der
Koffer weg war — warum sind Sie nicht gleich zu uns gekommen?“ fragte Fench.
„Weil ich
dachte: Jetzt so schnell wie möglich nach Hause! Den Anruf des Kidnappers
abwarten! Ihm erklären, was passiert ist. Und um Aufschub bitten. Aber nun... O
Gott! Ich habe schon Zeit verloren. Geben Sie mir meinen Koffer! Ich muß
weiter.“
„Können wir
Ihnen helfen? Sie ein Stück fahren und…“
„Nein,
nein! Bleiben Sie von mir weg. Ich weiß doch nicht, ob ich beobachtet werde.
Und Jutta…“
Er sprach
nicht weiter, sondern setzte seinen Hut auf und griff entschlossen nach dem
Koffer.
*
21.05 Uhr.
Nur eine
Handvoll Reisende wartete auf dem Bahnsteig, als auf Gleis 18 der Intercity
einlief.
Locke und
Tom hatten sich an verschiedenen Plätzen postiert.
Locke war
zuständig für die vordere Hälfte des Zuges, Tom für die hintere.
Eine
Siebzigerin, mittelgroß, silbergraues Haar und ein Gesicht wie ‘ne Gräfin,
dachte Tom. Ich wette, es steigen mehrere aus, auf die das paßt.
Lockes
Triumphschrei entband ihn der Sorge.
Eine
reizende Dame — mit einem Gesicht wie ‘ne Gräfin — entstieg dem Großraumwagen
und wurde von Locke begrüßt.
„Gute
Reise gehabt, Tante Eugenie? Du staunst, daß ich hier bin. Ja, Oma wollte Tom
schicken. Nicht weil er der Schönere ist, sondern wegen seiner Muskeln. Wo sind
deine Koffer?“
„Noch im
Kofferraum. Dort, im Großraumwagen. Mein Gott, Nina. Du bist nicht nur größer
geworden — du wirst auch immer hübscher. Aber meine Koffer tragen wir zusammen.
Vielleicht besorgen wir uns einen Kuh.“
„Den habe
ich mitgebracht“, lächelte Locke — und wies auf Tom, der herangetrabt war.
Er stellte
sich vor. Eugenie hatte sehr schmale Hände. Sie trug einen eleganten Mantel,
der außen wie Seide aussah. Innen war er mit Pelz gefüttert. Von einem kleinen
Hütchen hing ihr ein blaßblauer Schleier übers Gesicht.
Vor 50
Jahren, dachte Tom, haben sich ihretwegen sicherlich die Jünglinge befehdet.
Hoffentlich ist das mit dem Herzleiden nicht so schlimm.
„Ich hol
mal die Koffer.“
„Zwei sind
es, Tom. Weinrotes Leder. An beiden ist mein Namensanhänger.“
Während
sich Tom um das Gepäck kümmerte, schlenderten Locke und Eugenie von Hauch
hallenwärts.
Die alte
Dame hatte sich bei Locke eingehakt und machte kleine Schritte.
Wie es der
Oma denn gehe? Und Gunter? Und Mike?
„Hast einen
sehr netten Freund, Nina. Sieht sehr sympathisch aus. Und so kräftig. Ich weiß
ja ziemlich gut über ihn — über euch beide
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