100 Tage Sex
Steuerpolitik gehalten, und plötzlich haben sie das Oberkommando über die Armee, speisen mit anderen Staatsoberhäuptern und planen, ihre Memoiren zu schreiben. In anderen Worten: Unsere Körper hatten das Kommando übernommen, eher staatsstreichartig, nicht nach demokratischen Wahlen. Jetzt waren sie am Drücker, und sie zwangen uns am Valentinstag geradezu, in ein vierzig Grad warmes Yogastudio
zu gehen und uns eine Zeit lang zu quälen - nein, Pardon, zu dehnen.
Trotzdem war Valentinstag. Auf dem Heimweg vom Büro fuhr ich bei einem Blumenhändler vorbei und beobachtete beim Anstehen, wie die Männer vor mir 100-Dollar-Sträuße kauften. Ich nahm eine einzelne rote Rose. Die Blumenhändlerin machte ein entsetztes Gesicht. Sollte ich mir doch ein Beispiel nehmen an all den Mustergatten um mich herum, die taten, was sich gehörte: einen Haufen Schotter hinzulegen für ein prachtvolles Feuerwerk an Farben und Gerüchen. Eine windige Rose? Wahrscheinlich hätte die Frau (wie Sie) mit den Augen gerollt, wenn sie auch noch vom Yoga gewusst hätte. Ich war versucht, ihr von den anderen Geschenken zu erzählen, die ich für Annie hatte. Und ich wollte ihr von all dem Sex berichten - heute war Tag 45 -, aber ich blickte nur zu Boden, zahlte und machte mich aus dem Staub.
Auf der Fahrt nach Hause rief ich meine Mutter an.
»Der Valentinstag ist sicher eine große Sache dieses Jahr«, meinte sie. »Mit dem Marathon und so.«
Wieder diese Anspielung auf Sex.
»Ja, genau«, antwortete ich. »Und was habt ihr vor?«
»Dein Vater hat einen Hummerschwanz und Filet gekauft und kocht gerade Abendessen. Er hat eine gute Flasche Wein aufgemacht. So lieb!«
»Was für ein Hausmann!«
»Ich bleibe ihm treu«, sagte Mom. Die beiden hatten sich in der neunten Klasse kennengelernt, bald ineinander verliebt und waren seitdem - von einer kurzen Unterbrechung in der elften Klasse abgesehen - ein Paar.
»Ihr zwei macht das schon richtig, Mom«, sagte ich. »Ihr fehlt mir.«
»Du fehlst mir auch, Schatz«, antwortete sie. »Ich hab dich lieb.«
»Ich hab dich auch lieb.«
An diesem Abend schenkte Annie mir einen geschnitzten Ganesha und ein sehr gut riechendes Aftershave. Ich überreichte ihr die sexy oberschenkellangen Herz-Strümpfe, die ich schon vor längerem gekauft hatte (am Tag des Cockring-Theaters), eine Gesichtsmilch, auf die sie steht, und die rote Rose. Dann enthüllte ich meine Playboyhäschen-Boxershorts, was sie zum Lachen brachte. Ich hatte sie den ganzen Tag angehabt. Um 18.36 Uhr legten wir los, um 18.50 Uhr mussten wir aus dem Haus, wenn wir rechtzeitig zum Yoga kommen wollten. Wir glaubten beide nicht, dass das funktionieren würde, aber Annie verhüllte ihren Kopf mit einem gazeartigen orangefarbenen Schleier, der sie vage arabisch aussehen ließ. Aus irgendeinem Grund erregte mich das enorm. Wir trieben es gute zehn Minuten. Bevor wir aber zum Orgasmus hätten kommen können, mussten wir nach unten laufen, unser Yogazeug schnappen und zum Kurs fahren.
Es stellte sich heraus, dass außer uns niemand auf die Idee gekommen war, am Valentinstag Yoga zu machen (Überraschung!). Als einzige Teilnehmer kamen wir in den Genuss einer Privatstunde. Unser Lehrer war ein bestens aufgelegter Hippie aus Kalifornien, der ganz »verschwitzt« hatte, dass Valentinstag war.
Auf dem Rückweg zum Auto stimmten wir überein, dass man den Festtag der Liebe genau so begehen müsse,
wie wir es taten, und nicht in einem überfüllten Restaurant bei einem »Themenabendessen«, wo man sich vollstopfte, billigen Sekt trank, danach heimwatschelte und todmüde ins Bett fiel. Der Tag der Liebe ist ein wichtiger Festtag, wurde aber unserer Ansicht nach durch extreme Kommerzialisierung entwertet. Schließlich ging es um Liebe! Schokoherzen, Blumensträuße, Liebes-Grußkarten und Trinksprüche »auf uns« - alles schön und gut. Aber inzwischen scheint es sich an diesem Tag nur noch um solche Dinge zu drehen und nicht um das Wesentliche: die Liebe.
»So etwas sollten wir nächstes Jahr wieder tun!«, sagte Annie, während wir durch die bitterkalte Nacht heimfuhren. »Mein ganzer Körper prickelt; er fühlt sich wunderbar an. Fast wie nach Sex.«
»Ich muss sagen, an diesen Valentinstag werde ich mich erinnern. Hm, dabei fällt mir auf, dass ich mich an keinen anderen erinnern kann. Du?«
Annie legte die Hand ans Kinn. Nach einer Zeit erklärte sie, sie erinnere sich an ausgefeilte romantische Dinner, die wir füreinander gekocht
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