1.000 Euro für jeden
heißt in der Regel die Gegenfrage, worauf wir wiederholen: »Ja, tausend Euro. Ja, für Sie. Bedingungslos. Jeden Monat auf Ihr Konto überwiesen, einfach weil Sie existieren.«
Es dauert eine Weile, bis sich die Erstarrung löst, das Undenkbare denkbar wird und das laute Denken beginnt, in der Art: »Ich weiß nicht. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Na ja, davon könnte man ja im Prinzip schon leben. Aber zur Arbeit würde ich trotzdem gehen, vielleicht nicht mehr zu der, die ich gerade habe, obwohl mir die Arbeit eigentlich schon Spaß macht, wenn nur der Chef nicht wäre …«
Meist entwickeln sich längere Gespräche aus dieser Frage. Erika W. beispielsweise, ein Zimmermädchen, das Götz Werner einmal in einem Hotel ansprach, reagierte fast unwirsch: »Weiterarbeiten natürlich!«, sagt sie verständnislos. Wassolle sie denn sonst tun?! Dann beginnt sie nachzudenken und erklärt: »Ich würde nicht mehr hier arbeiten, nicht mehr in diesem Job.« Sie erzählt, dass sie eigentlich Hartz IV bezieht, aber eines Tages so viel zu verdienen hofft, dass sie nicht mehr aufs Staatsgeld angewiesen ist. Sie ist frisch geschieden, ihr Ex-Mann seit fünf Jahren arbeitslos, sie hat keinen Berufsabschluss. Die letzten gemeinsamen Jahre waren die Hölle. Der 18-jährige Sohn geht noch zur Schule, macht gerade seinen Berufsabschluss; ihre fünfjährige Tochter ist vormittags im Kindergarten. In dieser Zeit kann Erika W. arbeiten. Ihr ist fast egal was. Schon vor dem Abschluss der Einzelhandelslehre war sie schwanger. Der Vater des Kindes hatte einen guten Job in einer Maschinenfabrik vor Ort. Also wurde geheiratet und fast zwei Jahrzehnte das klassische Familienmodell gelebt; er verdiente Geld, sie war Mutter und Hausfrau, verdiente etwas Geld in einer Bäckerei dazu. Dann kam das zweite Kind, wenige Monate später verlor der Mann den Job und immer öfter auch die Nerven. Irgendwann war klar, dass die Ehe nicht zu retten war. Seitdem versucht Erika W., allein durchs Leben zu kommen, und arbeitet, wo und was sie kann.
Vorerst als Zimmermädchen in einem Hotel für etwa zwanzig Euro am Tag. Geld, das mit dem Hartz-IV-Satz verrechnet wird.
Die Frage »Was würden Sie tun, wenn Sie jeden Monat bedingungslos tausend Euro bekämen?« weist sie derart schroff zurück, weil sie nichts geschenkt will. Sie will nur endlich raus aus der Bittsteller-Position, nicht mehr abhängig sein, weder von ihrem Mann, noch vom Staat. Es ist ihr unvorstellbar, tausend Euro zu bekommen, bedingungslos. Sie will etwas dafür leisten.
Am nächsten Tag findet das Gespräch eine Fortsetzung: »Spielen Sie Lotto?« Erika W. schüttelt den Kopf, dafür habe sie kein Geld. Trotzdem lässt sie sich auf die nächste Frage ein: »Was würden Sie tun, wenn Sie im Lotto gewännen?« Diese Frage ist nicht weniger hypothetisch als die nach dem Tausend-Euro-Grundeinkommen, aber den meisten Menschen irgendwie vertrauter. Tatsächlich ist ihre Reaktion nun eine gänzlich andere. Offenbar kann sie sich gedanklich mit dem Lottogewinn besser anfreunden als mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Wie aus der Pistole geschossen antwortet sie: »Dann würde ich ein Hotel aufmachen oder ein Reinigungsunternehmen mit vielen Mitarbeitern, Frauen und Männer! Ich kenne so viele, die Arbeit suchen. Ja, ich würde Unternehmerin werden. Klar. Ja. Sofort.«
Uns überrascht die Antwort nicht. Im Gegenteil. Die meisten Menschen phantasieren sich in ihren Tagträumen weniger in ein Schlaraffenland, in dem sie bewunderter Superstar sind – das gehört ins Reich von BILD, Bravo und Frau im Spiegel –, sondern drücken darin ihren Wunsch aus, mit ihrem Wollen, Können und Lieben etwas bewirken zu können. Und auch: etwas von der Welt zu sehen. Erika W. träumt eben nicht von hemmungslosem Konsum oder davon, nie wieder arbeiten zu müssen, sondern davon, Verantwortung zu übernehmen und gestalten zu können: als Unternehmerin, vielleicht als Hotelmanagerin oder als Geschäftsführerin eines Reinigungsbetriebes. Das heißt, sie schätzt sich selbst und ihre Möglichkeiten relativ realistisch ein, weiß, auf welche Fähigkeiten sie sich verlassen kann. Aus denen will sie eine bezahlte Tätigkeit machen und Arbeitsplätze schaffen.
Ein Grund für den großen Unterschied zwischen den Fragen»Was würden Sie tun, wenn Sie ein Grundeinkommen hätten?« und »Was würden Sie tun, wenn Sie im Lotto gewännen?« liegt vermutlich darin, dass wir uns eher einen wenig
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