1.000 Euro für jeden
gesellschaftlich eine spürbare Energie freisetzen.
Das Grundeinkommen würde eben allen, unabhängig von Geschlecht und Alter, Arbeit oder Einkommen gezahlt und auf jede Art der Zwangsarbeit verzichtet. Dann ist jemand, der erwerbslos ist, nicht stigmatisiert, sondern einfach ein Mensch ohne Erwerbseinkommen.
Mythos Vollbeschäftigung
Diejenigen, die sich lautstark darüber beschweren, dass das Nichtstun belohnt werde, verweisen gerne auf die niedrigen amerikanischen Arbeitslosenzahlen und bringen diese in Zusammenhang damit, dass die schlechte Sozialsicherung eben nicht dazu einlade, sie in Anspruch zu nehmen. Der amerikanische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin warnt, dem amerikanischen Beispiel zu folgen: »Natürlich ist die US-Arbeitslosenquote niedriger als die deutsche. Aber bei uns sitzen allein zwei Millionen Leute in den Gefängnissen. Meinen Sie, das ist keine versteckte Arbeitslosigkeit?«
Je härter man die Sozialsysteme beschneidet, desto mehr tauchen die Probleme an anderer Stelle wieder auf: größere Armut, schlechtere Gesundheit, weniger Sicherheit, mehr Kriminalität. Denn das eigentliche Problem ist nicht fehlender Arbeitswille, vielmehr fehlen die Arbeitsplätze. Unsere Arbeitswelt hat sich zur »Reise nach Jerusalem« entwickelt: Es gibt immer einen Stuhl weniger, als es Spieler gibt. Wer keinen Platz hat, fliegt raus. Am Ende stehen lauter Verlierer um den einzigen sitzenden Gewinner.
Die Erwerbsarbeitsplätze in Wirtschaft und öffentlichem Dienst werden immer weniger, die Erwerbslosen deshalb immer mehr und deshalb die Sanktionen immer härter. Der Soziologe Georg Vobruba spricht von der »Beschäftigungsfalle«, in die sich die Politik mit der Agenda 2010 hineinmanövriert habe und in der alle nur verlieren können.
Statt diese Realität zur Grundlage ihres politischen Handelns zu machen, hält die Regierungspolitik am Mythos der Vollbeschäftigung fest und bezahlt diese Irrationalität mit immerweniger Zustimmung der Wähler. Die glauben in ihrer großen Mehrzahl dieses Märchen nicht mehr, vertrauen lieber ihrer eigenen Wahrnehmung. Jedes Jahr verschwinden in Deutschland über zehn Prozent aller Arbeitsplätze – und das bei gleichbleibender und steigender Produktivität. Schätzungen gehen davon aus, dass dauerhaft zwanzig Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ausreichen, um die Wirtschaft auf dem heutigen Stand in Schwung zu halten. Achtzig Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung blieben demzufolge langfristig ohne Job.
Neben Politik und Gewerkschaften hat die Wirtschaft ein Interesse, den Mythos der Vollbeschäftigung weiter zu nähren. Es ist eine nüchterne Kalkulation: Wenn mehr Menschen arbeiten wollen und müssen, als es Arbeitsplätze gibt, kann sie aus dieser »industriellen Reservearmee« die besten, aber auch gefügigsten Kräfte zu günstigen Preisen einkaufen. Unternehmen haben also kein Interesse an realer Vollbeschäftigung, aber am Fortbestehen ihres Mythos.
Gewerkschaften dagegen haben ein originäres Interesse, an dem Ziel von Vollbeschäftigung festzuhalten, weil sie im Fall ihrer Verwirklichung eine stärkere Verhandlungsmacht gegenüber den Arbeitgebern hätten. Je mehr Menschen arbeitslos sind, desto weniger Macht und Geld haben die Gewerkschaften. Ohne die Fiktion »Wir kümmern uns für euch darum, das Ziel Vollbeschäftigung zu erreichen«, drohen sie in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
Man stelle sich vor, es wäre gesellschaftlicher Konsens, dass nur jeder Fünfte arbeiten müsste. Die Gewerkschaft würde sichtbar zur Interessenvertretung einer Minderheit. Deshalb geben die Gewerkschaften auch nicht viel auf die begleitende Unterstützung neuer Arbeitsformen. Sie sind in ihrem Selbstverständnisgefangen, dass Arbeit betriebsförmig organisiert sein muss, am besten in einer bestimmten Anzahl von sicheren sozialpflichtigen Arbeitsplätzen, so dass gesetzliche Bestimmungen greifen. Ähnlich, wie der Sozialstaat deshalb nicht mehr funktionieren kann, weil sein Subjekt – der lebenslang angestellte, verlässlich ausrechenbare männliche Ernährer der Familie – im Schwinden begriffen ist, kann Gewerkschaftsarbeit so wie bisher nicht mehr funktionieren. Es wird nicht genügen, sich für Mindestlöhne einzusetzen. Die Gewerkschaften müssen ein konstruktives statt abwehrendes Verhältnis dazu entwickeln, dass genügend Güter produziert werden und dafür nur noch eine Minderheit der Menschen arbeiten muss. Sonst bleiben sie eine
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