Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1.000 Euro für jeden

Titel: 1.000 Euro für jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Adrienne; Werner Goehler
Vom Netzwerk:
»ausgekühlte Bedürfnisgruppe«, um es mit einer Wortschöpfung Peter Sloterdijks zu sagen.
    Das Dilemma der Ein-Euro-Jobs
    Ein weiterer Auswuchs der Manie, alle müssten einer Arbeit nachgehen, sind die Ein-Euro-Jobs. Als einer der größten Anbieter von Ein-Euro-Jobs gilt die Dekra. 1925 als Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein gegründet, ist das Unternehmen heute eine der größten Prüfgesellschaften der Welt. Geprüft werden neben Autos auch technische Anlagen wie Aufzüge, Medizinprodukte oder Spielzeuge. Die Dekra beschäftigt etwa 30000 Menschen. Sie betreibt eine eigene Aus- und Weiterbildungsakademie, berät Unternehmen bei Personalfragen respektive »Outsourcing« und vermittelt »flexible Arbeitnehmerüberlassung«, zu Deutsch: Zeit-oder Leiharbeitende. Zusammen mit den Jobcentern betreibt die Dekra auch quasi »fiktive« Unternehmen, also Modellbetriebe, die angeblich »wie normale Betriebe« funktionieren, nur eben keinen Gewinn machen und allen Beschäftigten einen Einheitslohn zahlen: einen Euro pro Stunde.
    Ein solcher fiktiver Betrieb ist zum Beispiel die »Toys Company«, die in verschiedenen Städten etwa 2600 Ein-Euro-Jobber beschäftigt. Deren Aufgabe ist es beispielsweise, gespendetes Kinderspielzeug zu reparieren. Ein Herz für Kinder! So könne sich jeder »intensiv mit den jeweiligen Arbeitsaufgaben befassen, seine bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse, aber auch eigene Ideen einbringen«, so die Selbstdarstellung des Unternehmens im Internet.
    Die Dokumentarfilmerin Eva Müller berichtet in ihrer Reportage »Die Armutsindustrie« über arbeitslose Frauen, die in der Toys Company gespendete Puzzles auf ihre Vollständigkeit überprüfen – indem sie sie legen. »Der Rekord liegt beim 5000er-Puzzle bei knapp zehn Tagen. Und dann mussten wir leider feststellen, dass drei Teile fehlten«, zitiert sie den fröhlich daherredenden Geschäftsführer.
    Aus Mangel an Spielzeug wurde eine »Frühchenabteilung« geschaffen, in der arbeitslose Frauen Miniatursöckchen oder -mützen stricken und häkeln, um Frühgeborene in Deutschland vor Erfrierung zu schützen.
    Diese Art von Arbeit wird in einem »Modellunternehmen« staatlich gefördert! Wir erinnern uns dunkel an den vorgeblichen Sinn der Ein-Euro-Jobs: Menschen sollen (wieder) ans Erwerbsleben herangeführt werden: Pardon, an welches?
    Mehr als vierzig Prozent eines jeden Jahrgangs, der die Schulen verlässt, landen laut »Berufsbildungsbericht« der Bundesregierung, der im Frühjahr 2010 veröffentlicht wurde, in einer von Zigtausenden solcher »Maßnahmen«. So gelten sie nicht als arbeitslos: Das verschönert die Statistik.
    Dass so gut wie keiner von den Ein-Euro-Jobbern solche Arbeit gerne macht, versteht sich von selbst. Und dass man durch solche »Qualifizierungsmaßnahmen« auch keinerlei Kompetenz gewinnt, die am Arbeitsmarkt hilfreich sein könnte, dürfte einleuchten. Der einzige Lerneffekt der sechs Monate, in denen man durch diesen Modellbetrieb geschleust – und ruhig gestellt – wird, ist, die Sinn- und Wirkungslosigkeit des eigenen Tuns auszuhalten. Kann das ein staatlich gefördertes Ziel sein?
    Wer glaubt, dass es sich bei diesen Beispielen um willkürlich herausgegriffene Einzelfälle handelt, übersieht, dass Ein-Euro-Jobs so angelegt sind, dass sie keinen Sinn haben dürfen – um keine regulären, besser bezahlten Jobs zu gefährden. Es muss sich um zusätzliche Arbeit handeln, die sonst nicht gemacht würde. Aber wie soll ein sinnvoller Job aussehen, der »sonst nicht gemacht würde«? Sobald eine Arbeit sinnvoll und notwendig ist, wird sie von irgendjemandem gemacht oder gehört zumindest der Form halber in das Tätigkeitsfeld irgendeines Betriebes oder einer Behörde.
    Als etwa die Gemeinde Demmin/Völschow in Vorpommern im Januar 2010 fünf Arbeitslose als Ein-Euro-Jobber zum Schneeschippen einsetzte, griff das zuständige Jobcenter sofort ein und untersagte den Einsatz. Begründung: Schneeschippen sei keine zusätzliche Aufgabe, sondern falle in die Verkehrssicherungspflicht der Gemeinden. Der empörte Bürgermeister aktivierte den Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und die Medien, am Ende erteilte die zuständige Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit dem Jobcentereine Ausnahmegenehmigung. Begründet mit dem Trick, »dass mit dem Wintereinbruch eine akute Notsituation gegeben war«. Das unlösbare Dilemma der Ein-Euro-Jobs an sich bleibt: Entweder handelt es sich um weitgehend sinnfreie

Weitere Kostenlose Bücher