1001 - Der Alptraum beginnt
stand draußen.
Sie hatten den Range Rover nicht erst aus der Garage holen müssen.
Neben der Tür wartete Mary auf ihren Mann.
»Kommst du?«
»Moment noch. Hast du einen Wagenschlüssel?«
»Ja.«
»Dann kannst du schon die Koffer einladen.«
Mary Sinclair schloß auf, während sich ihr Mann noch Zeit ließ.
Mit langsamen Schritten ging er auf das Fahrzeug zu. Sein Mißtrauen war noch immer nicht verschwunden. Auch jetzt erschien kein Angreifer aus der Dunkelheit.
Etwas tiefer liegend und jenseits der Zufahrtsstraße schimmerten die ersten Lichter von Lauder. Obwohl sie nahe waren, wirkten sie beinahe wie unerreichbare Sterne. Unerreichbar weit entfernt schien den Sinclairs auch fremde Hilfe zu sein.
Unter den Füßen knirschten die kleinen Steine, als sich Horace dem Auto näherte. Seine Frau hatte bereits die hintere Tür geöffnet und war damit beschäftigt, den Koffer einzuladen. Als er auf dem Rücksitz lag, wollte sie die Tür wieder schließen, aber Horace hielt sie fest. »Warte noch«, sagte er.
»Warum?« Sie trat zur Seite.
Sinclair legte das eine Gewehr neben den Koffer. »Deshalb.«
»Und was ist mit der zweiten Waffe?«
»Die nehme ich mit nach vorn.«
Mary schwieg. Sie schaute ihren Mann dabei an. Er sah ihr Gesicht, weil die Innenbeleuchtung noch brannte, ziemlich deutlich, und ihm fiel der besorgte Ausdruck darin auf.
»Was hast du denn?«
»Du rechnest damit, daß es noch nicht vorbei ist, wie?«
Er nickte. »Stimmt, deshalb möchte ich ein Gewehr vorn bei mir haben.«
Mary dachte praktisch, als sie fragte: »Kannst du denn schießen, wenn du fährst?«
»Weiß ich nicht.« Er schaute seine Frau so durchdringend an, daß sie schon merkte, was er wollte. »Willst du fragen, ob ich mit einem Gewehr umgehen kann?«
»Kannst du es denn?«
»Im Prinzip nicht oder nicht besonders gut, das weißt du. Ich habe mich dafür nie interessiert, aber in extremen Situationen sieht es wohl anders aus. Dann kann der Mensch über sich hinauswachsen.«
Sie nickte ihm zu, »Wir machen es so wie immer. Du fährst, und ich halte die Augen auf.«
»Danke, Mary. Dann steig jetzt ein, bitte.« Er öffnete die Tür auf der Beifahrerseite, um seine Frau einsteigen zu lassen. Horace selbst wartete noch. Wieder suchte er die Umgebung ab, denn sein Mißtrauen hatte sich noch nicht gelegt.
Nein, da leuchtete kein Auge. Es war einfach nur ruhig, beinahe schon zu ruhig.
Er kletterte in den Range Rover und setzte sich hinter das Steuer.
Das Gewehr stellte er zwischen sich und seine Frau. Mary bedachte die Waffe mit einem mißtrauischen Blick, hielt sich allerdings mit einem Kommentar zurück.
»Hast du nicht auch ein bedrückendes Gefühl, Horace?«
»Klar. Irgendwo schon.«
»Eigentlich hätten wir uns ja sicher fühlen müssen. Aber das ist nicht der Fall. Ich fühle mich nicht sicher, auch wenn wir jetzt verschwinden. Ich habe eher den Eindruck, als könnte noch etwas passieren.«
»Soll ich dir etwas sagen?«
»Tu das.«
»Denk nicht daran. Oder versuche zumindest, nicht daran zu denken. Alles andere geht dann wie von selbst.«
»Kannst du es denn?«
»Keine Ahnung.«
Mary streichelte über den Waffenlauf. »Ich wünsche mir, daß wir das Gewehr nicht einzusetzen brauchen. Alles andere ist mir dann egal. Ich fahre auch mit dir durch bis Edinburgh, denn ich möchte einen sicheren Platz finden, auch wenn er meilenweit entfernt ist.«
Sie schlug für einen Moment die Hände gegen ihr Gesicht, und Horace preßte die Lippen zusammen. Er verstand die Gefühle seiner Frau sehr wohl, denn ihn quälten die gleichen. Sie waren hier in einen Kreislauf hineingeraten, aus dem sie so leicht nicht entwischen konnten.
Sinclair startete. Der Motor war kalt geworden. Er orgelte einige Male, dann kam er doch. Schon bald strahlten die Scheinwerfer auf, und ihr Licht zerriß die Dunkelheit.
Dann fuhr er an.
Mary drehte sich auf dem Sitz. Sie schaute noch einmal zurück zu ihrem Haus. Es kam ihr vor, als würde ihr die Außenleuchte einen Abschiedsgruß zuschicken. Wieder spürte sie den Kloß und hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken.
Sie fuhr an. Die Stille blieb. Unter den Reifen knirschte es beim Anfahren. An diesem Abend jedoch nahmen es beide überdeutlich wahr. Sie sprachen nicht darüber. Sie gaben sich nur ihren Gefühlen hin. Beiden mußte es so vorkommen, als rollten sie durch eine Welt aus Glas.
Der helle Schein schwenkte, als Sinclair den Wagen nach rechts zog, um auf den Weg zu gelangen,
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