1001 Nachtschichten
die sehr unglücklich darüber war, dass sie immer noch nicht nach Hause fahren durfte.
›Ja, wir stecken alle unter einer Decke! Um brutale Mörder zu fassen, arbeiten wir in Schwerte alle zusammen. Das würde ich Ihnen auch empfehlen‹, meinte der Kommissar und verschwand.
›Das brauchen Sie mir nicht zu empfehlen, Sie werden sehen,
ich
werde derjenige sein, der den Mörder findet‹, rief ich ihm ganz schön sauer hinterher.
Mein Gott, Herr Viehtreiber, ich muss jetzt aber auch verschwinden«, tue ich höchst besorgt, als müsste ich dadurch meine Ehe dringend vor dem unmittelbar drohenden Ruin retten, wohingegen eine Kündigung oder eine Mordanklage natürlich eine Lappalie wäre.
»Osman, bleib hier, der Kerl hat dich ganz klar einen Triebtäter genannt, kapierst du das denn nicht?«, versucht er mich weiter in ein Gespräch zu verwickeln.
»Alles weitere morgen, Herr Viehtreiber, bis mooorgeeeennn …«
Meine Frau sagte mir, dass ich nach der heutigen Märchenstunde sofort zum Arbeitsamt laufen muss, um mich nach einem neuen Job zu erkundigen! Und sie fügte hinzu: »Ob bereits rausgeschmissen oder nicht!«
Die Schlange im Arbeitsamt ist länger als die vor dem Kassenhäuschen am Weserstadion, wenn Werder Bremen gegen Bayern München spielt.
Spätabends – natürlich ohne einen neuen Job – komme ich nach Hause und falle wie ein Stein aufs Sofa!
Nach all den Anstrengungen schlafe ich wie ein Toter. Ich werde davon geweckt, dass im Radio ein schönes türkisches Lied gespielt wird. Als es ausklingt, teilt der Moderator den Zuhörern mit, dass die Türken in Berlin bei der Wahl der beliebtesten Einwanderer mit großem Vorsprung Platz eins belegt haben.
Ich schiebe den Vorhang beiseite. Gleißendes Sonnenlicht erfüllt den Raum.
An die Hauswand gegenüber haben die Jugendlichen neue Parolen geschmiert:
»Wir lieben die Türken! Bitte verlasst uns nicht!«
Ich verspüre einen dumpfen Schmerz im Hinterkopf.
»Der türkische Kandidat Veli Sümbüllüoglu wurde mit großer Mehrheit zum Regierenden Bürgermeister des Landes Bremen gewählt. Leider haben nur sehr wenige türkische Mitbürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht«, erzählt der Moderator weiter.
Ich muss unbedingt Veli anrufen und ihm gratulieren.
Der Druck in meinem Kopf verstärkt sich.
Ich nehme meine Tasche und verlasse das Haus. Den Ford-Transit lasse ich heute stehen und hoffe, dass die frische Luft meinen Kopfschmerz etwas lindert.
Meine Nachbarn Hasan und Horst grüßen mich freundlich und diskutieren weiter hitzig über die Wahl des neuen Bürgermeisters. Ihre Frauen stehen am Gartenzaun und unterhalten sich laut und fröhlich.
Als ich zur Haltestelle komme, grüßen mich die deutschen Jugendlichen respektvoll.
Die Straßenbahn ist überfüllt, aber eine schwangere Frau und mehrere deutsche Rentner bieten mir ihren Sitzplatz an. Verlegen nehme ich den Platz der werdenden Mutter ein.
Der Kontrolleur lächelt mich an und wirft keinen Blick auf meinen Fahrschein, den ich ihm entgegenhalte.
Meine Kopfschmerzen werden immer schlimmer.
»Quuiiiiietschh!!«
Ruckartig kommt die Straßenbahn zum Stehen. Ich habe die Notbremse gezogen.
»Ich möchte den Rest des Weges zu Fuß gehen. Ich habe höllische Kopfschmerzen«, stöhne ich.
Der Schaffner lächelt mich an: »Wie es Ihnen beliebt, mein Herr.«
Kaum habe ich Halle 4 betreten, grüßt mich der Meister mit Handschlag.
»Guten Morgen, Kollege Engin«, ruft er freundlich.
»Guten Morgen, Meister Viehtreiber!«
Er schaut auf die Uhr: »Sie sind aber heute ziemlich früh da!«
»Ja, in letzter Zeit stehe ich immer so früh auf.«
»Wie Sie meinen. Wenn Sie Lust haben, können Sie auch gleich anfangen.«
»Nööö, erst will ich mal einen Tee trinken, Zeitung lesen und die schläfrigen Kollegen verarschen.«
»Natürlich, Herr Engin, wie Sie wollen. Ich habe aber noch was, Herr Engin …«, murmelt er verlegen.
»Was denn, meinen Sie die Geschichte von gestern?«
»Nein, nein, die Geschichte ist doch völlig in Ordnung. Ich möchte nur die Miete für Ihre Wohnung etwas senken. Bitte überweisen Sie mir in Zukunft nur 400 statt 600 Euro.«
»Auf keinen Fall, Herr Viehtreiber! Das kann ich wirklich nicht annehmen!«
»Herr Engin, ich bitte Sie, mir zuliebe!«
»Herr Viehtreiber, wenn Sie mich weiter so drängeln, sehe ich mich gezwungen, aus Karnickelweg 7b auszuziehen.«
»Ja gut, wie Sie wünschen. Dann belassen wir es vorerst bei 600 Euro. Aber ab jetzt
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