1001 Nachtschichten
Das war sehr vorteilhaft für mich, so konnte ich an einem einzigen Tag nämlich alle meine Besorgungen machen.
Aber wieder zurück zu unserem Süleyman Effendi. Der schüttelte den Kopf, und um mich zu tadeln, nahm er einen sehr lauten Schluck von seinem neuen Tee.
›Osman, das war ein riesengroßer Fehler‹, brüllte er, ›von dem Sperrmüll, der in der eigenen Straße liegt,darfst du niemals etwas anfassen! Ja, du darfst sogar, wenn du morgens zur Arbeit gehst, nicht mal einen Blick auf diesen Sperrmüll werfen. Denn in Deutschland gilt nur der etwas, der viele teure Sachen kauft, sie kurz benutzt und möglichst schnell wieder wegwirft, um sich neue Dinge zu kaufen. Du aber, mein Lieber, stöberst stundenlang in deinem Stadtviertel, ja sogar in der eigenen Straße, manchmal sogar vor der eigenen Wohnung wie ein Straßenköter in den weggeworfenen Sachen anderer Leute rum. Und dann fragst du mich, warum du kein Ansehen hast? Wie willst du denn als Lumpensammler jemals zu Ansehen gelangen, frage ich dich?! Osman, merke dir, du darfst nur in dem Sperrmüll rumwühlen, der ganz weit weg von deinem Wohngebiet liegt. Da, wo dich garantiert niemand kennt und kein Nachbar sehen kann! Ich durchwühle den Sperrmüll nur in fremden Gegenden, in denen mich keiner kennt!‹
Ich war so schockiert, dass ich mich an meinem heißen Tee verschluckte.
›Waaas? Sie? Der große Süleyman Effendi schaut sich Sperrmüll an?‹, fragte ich ziemlich verdattert.
Mein Leben hatte keinen Sinn mehr! Mein großes Vorbild entpuppte sich nämlich als Hochstapler. Alle meine Idole stürzten sich selbst vom Sockel. Erst Elvis, dann Maykl Jäksn, dann Christoph Daum und jetzt auch noch Süleyman Effendi! Öhm, ich glaube, das mit Christoph Daum war etwas später …
›Natürlich! Osman, was glaubst du denn, wie ich es mir sonst leisten kann, alle sechs Monate acht Waschmaschinen, elf Kühlschränke, sieben Fernseher und zwei kompletteSchlafzimmereinrichtungen wegzuwerfen?‹, antwortete Süleyman Effendi mit einer Gegenfrage.
Ich konterte seine Gegenfrage meinerseits mit einer meiner geistreichen Gegenfragen:
›Ja, ich frage mich auch immer, wie schnell bei Ihnen die elektrischen Geräte kaputtgehen. Haben Sie etwa eine derart feuchte Wohnung?‹
›Bei Allah, Osman, du kapierst ja überhaupt nichts! So naiv, wie du bist, wirst du nie ein angesehener Mann in Deutschland!‹, schimpfte er mit vollem Mund, während er weiter an einer Riesenportion Baklava kaute, die ich später bezahlen durfte. ›Osman, jetzt pass mal auf: Alle diese Geräte sammle ich mit meinen Söhnen und meiner Frau vom Sperrmüll in anderen, weit entfernten Stadtteilen. Und wenn es dann in unserer Straße Sperrmüll gibt, schmeißen wir den ganzen Kram aus dem Fenster. Das sieht für unsere Nachbarn natürlich so aus, als wären wir steinreich. Aber in Wirklichkeit ist mein Fernseher schon siebzehn Jahre alt, einen Kühlschrank brauche ich im kalten Deutschland überhaupt nicht, und Waschmaschine habe ich auch keine – ich habe doch drei Töchter!‹
›Ach so, deswegen sieht es am Sperrmülltag vor Ihrer Wohnung jedes Mal wie im Kaufhaus aus‹, wunderte ich mich.
›Richtig! Dieser angebliche Reichtum ist auch der Grund, warum Fräulein Meierdierks so großen Respekt vor mir hat und sich so gerne mit mir unterhält.‹
›Aber das wäre ja auch für mich kein Problem. Ich habe auch mehrere Kinder, eine Frau und einen grasgrünenFord-Transit, um überall in Bremen Sperrmüll einzusammeln‹, freute ich mich. ›Oh, Süleyman Effendi, ich danke Ihnen von ganzem Herzen für diesen unglaublich wertvollen Tipp. Möge Allah alles, was Sie anfassen, in Gold verwandeln – mit Ausnahme von Fräulein Meierdierks natürlich!‹
›So, Osman, jetzt weißt du alles, was du brauchst, um sogar als Türke ein angesehener Mann in Deutschland zu werden. Ich wünsche dir viel Glück auf deinem weiteren Lebensweg‹, sagte er und trank mit einem großen Schluck den sechzehnten Tee auf meine Kosten aus und bestellte noch eine Portion Baklava.
Die nächsten Wochen verbrachte ich dann damit, nachts zusammen mit meiner Frau Eminanim und meinem Sohn Recep in anderen Stadtteilen die Sperrmüllhaufen zu durchforsten.
Manchmal ertappte ich auch Süleyman Effendi mit seiner Familie dabei, aber ich tat ganz diskret so, als hätte ich sie nicht gesehen.
Unser Keller, der Dachboden und das Schlafzimmer waren bereits brechend voll. Wir konnten uns auch nicht mehr duschen, weil wir im
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