1001 Nachtschichten
zur täglichen Routine gewordenen Arbeitsamt-Besuche sind mittlerweile eine regelrechte Erholung für mich. Wellness pur!
Je länger die Schlange vor dem Zimmer 143 ist, umso mehr freue ich mich aufs stundenlange Rumdösen.
Heute gab sich der Herr Jobcenter-Wellness-Master ganz besonders viel Mühe, um seinen Kunden den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Keiner derachtundsiebzig Besucher wurde nämlich während der ganzen vier Stunden Wartezeit genötigt, sich zu bewegen, geschweige denn aufzustehen, um ins Büro zu kommen. Ich möchte sagen, heute war es richtig meditativ!
Niemand wurde zu Herrn Meisegeier hineingebeten. Seitdem er den ersten Schock überwunden hat, hat er sich in sich zurückgezogen. Er spricht nicht mehr, er isst nicht mehr, er bewegt sich nicht mehr. Morgens kommt er wie ein Roboter in sein Büro, abends geht er wie ein Schlafwandler wieder heim – oder wohin auch immer.
Wir schlafen in Rudeln vor dem Zimmer 143 – Herr Meisegeier schläft drinnen. Das nenne ich gelebte Kundenfreundlichkeit!
Auch wenn sie den Menschen keine Arbeit besorgen können, für ihre Erholung vom stressigen Arbeitslosendasein sorgen sie schon. Ich denke, heutzutage darf man von einem Arbeitsamt viel mehr auch nicht verlangen.
Zu Hause schwärme ich meiner Frau von den super Wellness-Bedingungen im Arbeitsamt vor. Aber ich habe das Gefühl, dass sie sich überhaupt nicht für mich freut – im Gegenteil!
»Tja, mein lieber Ossi, das habe ich kommen sehen«, meint sie, »und bevor du auf der Straße landest oder mich als billige Prostituierte an deinen perversen Meister verhökerst, sorge ich doch lieber dafür, dass ich demnächst selbst in Lohn und Brot stehe statt in der Küche. Ich habe heute alle Stellenanzeigen in der Zeitung von vorne bis hinten studiert, und in dreißig Minuten habe ich bereits mein erstes Vorstellungsgespräch …«
»Wirklich? So schnell geht das? Wozu hocke ich denn dann seit Tagen im Arbeitsamt? Wo wirst du denn arbeiten? Und wie viel Geld kriegst du?«
»So groß ist die Auswahl in den Stellenanzeigen leider nicht. Es werden nur Gehirnchirurgen, Bardamen und Putzfrauen gesucht …«
»Super! Als Bardame verdienst du garantiert das Doppelte von dem, was ich verdienen würde, wenn die mich nicht rausschmeißen würden …«
»Nun ja, da die momentane Arbeitsmarktsituation nur die Wahl zwischen Nutte und Putze lässt, werde ich mich als Raumpflegerin in einer Arztpraxis bewerben. Jetzt habe ich aber keine Zeit mehr, ich muss sofort los«, ruft sie und schnappt sich einen riesengroßen Ordner.
»Was ist denn das für ein dicker Schinken?«, frage ich verwirrt.
»Meine Bewerbungsmappe, was denn sonst?«
»Eminanim, was soll das denn? So, wie ich dich verstanden habe, bewirbst du dich doch nur für ein paar Stunden in der Woche als Putzfrau. Oder hoffst du darauf, plötzlich als Naturtalent entdeckt und als Gehirnchirurgin eingestellt zu werden?«
»Osman, weil du seit hundert Jahren in Halle 4 rumlungerst, hast du keine Ahnung mehr von der wahren, modernen, brutalen Arbeitswelt da draußen. Ohne eine anständige Bewerbungsmappe läuft heutzutage überhaupt nichts mehr.«
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht! Zu meiner Zeit brauchte man keinen Papierkram, sondern nur einen Hammer!«
»Ich weiß, ich weiß, ich musste mir dieses Märchenschon tausend Mal anhören. Dein toller Meister Viehtreiber hat damals den philosophischsten Satz aller Zeiten von sich gegeben: ›Da Hammer, du arbeiten, machen klopf, klopf!‹«
»Gleich werden sie zu dir sagen: ›Da Lappen, du putzen, machen wischi, wischi!‹«
»Von wegen! Die werden gleich als Erstes meine Kompjuterkenntnisse testen.«
»Kompjuterkenntnisse für Putzfrauenarbeit?«
»Klar! Ich muss doch ganz genau wissen, wie viel Prozent Feuchtigkeit ein Tuch haben darf, wenn ich damit die Tastatur, den Bildschirm oder den G 5-Prozessor abwischen soll. Und welchen Härtegrad die verschiedenen Putzlappen für Skenner, Internet und Fotoschop haben müssen. Und die Reinigung von diesen empfindlichen Mäusen ist auch eine eigene Wissenschaft für sich. Besonders wenn man bedenkt, dass eine so große Arztpraxis von oben bis unten mit den verschiedensten und eigenartigsten Spezial-Mäusen vollgestopft ist. Von den Ultraschall- und Röntgen-Geräten ganz zu schweigen!«
»Wau, Eminanim, ich muss sagen, ich bin schwer beeindruckt. Aber du tust dir wirklich großes Unrecht, warum bewirbst du dich denn überhaupt als Putzfrau?
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