1001 Versuchung
schade.
Manchmal fand er es schwer, ein zivilisierter Mann zu sein. Vor allem, wenn die Gefühle, die diese Frau in ihm auslöste, absolut unzivilisiert waren.
Wer war sie? Woher kam sie? Mit diesen langen blonden Haaren und der hellen, seidig schimmernden Haut konnte sie auf keinen Fall eine Einheimische sein.
In seinem Rollstuhl ging Arik die Möglichkeiten durch. Eine Frau, allein, schön und verführerisch. Ein Mann, gelangweilt, frustriert und verzaubert.
Es zuckte um seine Mundwinkel. Er gehörte nicht zu der Sorte Mann, die tatenlos herumsaß. Nein, er war der Typ, der handelte.
Und das gedachte er auch nun zu tun. Schon bald würde seine Neugier befriedigt sein. Seine Neugier – und mehr.
Rosalie steckte sich eine Strähne hinters Ohr und begutachtete kritisch die Leinwand vor sich. Schon seit mehreren Tagen arbeitete sie an diesem Bild. Aber all ihren Bemühungen zum Trotz war sie bislang nicht wirklich weitergekommen.
Sie hatte die Konturen des Strands und des Küstenvorsprungs gezeichnet, hatte mit Aquarell- und Ölfarben experimentiert, doch das Ergebnis gefiel ihr nie. Auch die Fotos, die sie aufgenommen hatte, konnten die Magie dieses Orts nicht einfangen. Weder den Zauber des blassen Morgenlichts noch den rosa Schimmer des feinen Sands oder die verspielten Formen der maurischen Burg, die hoch oben auf den Klippen thronte.
Gleich beim ersten Mal, als Rosalie diese Bucht entdeckt hatte, war sie begeistert gewesen. Ein Gefühl, von dem sie befürchtet hatte, es nie wieder verspüren zu können. Die Schönheit dieses Ortes hatte ihr sogar den Mut verliehen, endlich wieder ihre Farben und die Leinwand hervorzuholen.
Doch die Jahre der Vernachlässigung rächten sich nun. Ganz offensichtlich würde es einige Zeit dauern, um ihre künstlerischen Fähigkeiten wieder zum Leben zu erwecken.
Falls sie nicht sowieso für immer verloren waren.
Vor drei Jahren hatte Rosalie das Malen aufgegeben, denn vor drei Jahren war ihre ganze Welt zusammengebrochen. Ihre Kunst interessierte sie nicht mehr. Ganz egal, was ihre Familie und ihre Freunde dazu sagten.
Doch jetzt hatte sie zu ihrem eigenen Erstaunen wieder den Drang zu malen verspürt. Eine schwache Hoffnung war in ihr aufgekeimt. Nur, um sogleich wieder von Enttäuschung erstickt zu werden.
Angewidert riss Rosalie das Blatt vom Zeichenblock. Hier fehlte etwas.
Talent, dachte sie mit einem missmutigen Lächeln.
Sie reckte sich und lockerte die angespannten Muskeln. Sie würde dieser Landschaft nicht Genüge tun können. Sie war keine Künstlerin. Nicht mehr.
Jäh presste sie die Lippen zusammen, als die Enttäuschung sie packte. Es war dumm – dumm und albern, darauf zu hoffen, etwas wiedererwecken zu können, das längst verkümmert war. Dieser Teil ihres Lebens war für immer verloren.
Rosalie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Sie hatte überlebt, hatte sich von der Angst und der Wut und der Trauer befreit und mit ihrem Leben weitergemacht. Nicht nur das. Sie hatte ihren inneren Frieden und ihre Lebensfreude wiedergefunden. Was machte es da schon, wenn aus ihr nie eine Künstlerin wurde?
Doch ihre Hände zitterten, als sie ihre Sachen sorgfältig wieder in der Tasche verstaute. Nachdem es einen Hoffnungsschimmer gegeben hatte, war diese Einsicht doch schwerer zu ertragen.
Dennoch, sie würde sich nicht quälen, sondern sich auf andere Dinge konzentrieren. Ein paar Erkundungstouren machen. Sich die Altstadt ansehen. Durch die Suks, die Händlerviertel, bummeln. Vielleicht sogar einen Ausflug in die Wüste unternehmen. Jeden Tag schwimmen. Und sie würde auch endlich das Buch aufschlagen, das sie sich für den Urlaub hier mitgebracht hatte.
Sie würde die faszinierende Schönheit dieser Bucht und der Burg wie aus Tausendundeiner Nacht vergessen.
Ein entferntes Geräusch ließ sie aufschauen. Am anderen Ende des Strandes konnte sie eine Bewegung erkennen. Formen, die im Licht der Morgensonne weißgolden schimmerten, die auf sie zukamen und sich dann plötzlich zum Wasser drehten.
Jetzt konnte Rosalie die Formen ausmachen. Natürlich erkannte sie sie, schließlich züchtete ihr Schwager mit hingebungsvoller Leidenschaft Pferde. Diese beiden Tiere da waren nicht etwa irgendwelche Pferde, sondern elegante Araber. Sie tänzelten, wieherten und warfen ihre Mähnen zurück, als die Wellen ihre Hufe umspülten.
Ein Mann saß auf einem der Tiere. Er lehnte sich vor und flüsterte dem Pferd etwas ins Ohr, sein Haar hob sich dunkel gegen das
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