1005 - Im Bann des alten Königs
Atem, keine Reflexe.
Die Haut war weicher geworden, wirkte aufgeschwemmt und hatte ihre Farbe verändert.
Er hatte wegen der Untersuchung die Decke anheben müssen und konnte auch die Wunden sehen, die von den verfluchten Messern verursacht worden waren.
Kleine Krater, an deren Seiten sich bräunliche Krusten gebildet hatten. Ähnliches entdeckte Suko auch in den Wunden.
Die Farbe der Haut erinnerte ihn schon an Teig. Es wurde Zeit, daß die beiden Leichen hier wegkamen. Der nächste Tag war am besten. Auch ohne Johns Einwilligung mußten die Leichen obduziert werden. Suko hoffte, daß er da im Sinne seines Freundes handelte.
Aber mit diesen Augen?
Immer wieder oder immer noch stolperte er über den veränderten Ausdruck. Er kam damit nicht zurecht, weil er sich auch keinen Grund dafür vorstellen konnte.
Irgend etwas stimmte da nicht. Es paßte nicht in sein Denkschema hinein. Was hatte Lalibelas Geist damit bezweckt? Würde er das Gesicht auch so zerlaufen lassen wie das der Killerin Alischa?
Suko mußte damit rechnen. Aber er wollte noch etwas tun. Die Augen standen auch weiterhin hoffen. Es war für Suko einfach, die dunklen Pfützen zu berühren.
Sehr bald schon schwebte seine Hand über dem rechten Auge.
Dann knickte er seinen kleinen Finger ab und zielte mit ihm wie eine Lanze auf das Ziel.
Er brachte den Finger näher an die »Pfütze« heran. Kein Zucken, wie es bei einem normalen Auge der Fall gewesen wäre. Hier blieb alles gleich. Dann die Berührung. Kurz nur, aber Suko hatte genug erfahren. Sein Finger zuckte sogar zurück, denn er hatte am Nagel plötzlich den Widerstand gespürt.
Die Pupille war hart.
Wieder etwas Neues. Hart wie die Schale einer Nuß. Bei einem zweiten Versuch bemühte sich Suko, sie tiefer in die Höhle zu drücken, das gelang ihm jedoch nicht.
Er zog den Finger wieder zurück. Schüttelte den Kopf. War sich überhaupt nicht darüber im klaren, was mit Horace F. Sinclair geschehen war. Jetzt hätte er gern Johns Kreuz besessen, aber er wußte auch, daß es sein Freund sicherlich dringender brauchte.
Suko überlegte, ob er sein Messer ziehen und an den Augen kratzen sollte.
Nein, das war nicht gut. Er ließ die kleine Waffe stecken und versuchte es anders. Er sprach zunächst mit sich selbst, aber er meinte seinen Freund John.
»Ich hoffe, daß du mit diesem Experiment einverstanden bist«, sagte Suko leise. Er zog dabei seine Dämonenpeitsche hervor und schlug einen Kreis.
Die drei Riemen rutschten hervor. Sie schwangen über dem Boden, dann hob Suko die Peitsche an und hielt die Riemen mit der linken Hand fest. Wie immer fühlten sie sich ledrig, glatt und auch ein wenig ölig an, aber das kannte er.
Er wollte nicht mehr mit der Peitsche zuschlagen, sondern die drei zusammengelegten Riemen nur durch das Gesicht des Toten schleifen lassen. Es konnte durchaus sein, daß der Geist des Lalibela eine Reaktion zeigte. Möglicherweise eine zerstörerische, aber darauf hoffte er nicht.
Vorsichtig, nur nicht zittern. Sehr behutsam zu Werke gehend.
Daran dachte Suko, als er die drei Riemen über die Gesichtshaut gleiten ließ und darauf wartete, daß etwas geschah.
Von der Stirn abwärts zog er die Riemen der Dämonenpeitsche. Es passierte nichts.
Genau diese Tatsache sorgte bei Suko dafür, daß ihm ein Stein vom Herzen fiel. Damit hatte er zwar keine Lösung gefunden, aber er war froh, den Toten nicht »beschädigt« zu haben, und auch Lalibelas Geist war von der Berührung nicht verändert worden.
Positiv und trotzdem rätselhaft, denn Suko war noch immer keinen Schritt vorangekommen. An Aufgabe dachte er nicht. Er mußte sehen, wie er weitermachte. Das lag durchaus nicht in seiner Verantwortung. Eher in der Lalibelas.
Er drehte sich wieder um. Die Peitsche steckte er weg. Er kam sich fehl am Platze vor. Hier herrschten andere Gesetze, aber dennoch mußte es einen Grund dafür geben, daß sich der Geist diesen toten Körper ausgesucht hatte.
Hieß der Grund John Sinclair?
Suko wußte es nicht, aber er konnte es sich durchaus vorstellen.
Letztendlich ging es nur um ihn allein, um keinen anderen sonst. Er merkte auch, wie er zitterte und wie ihm dabei das Blut in den Kopf stieg.
Selbst ein Mensch wie Suko verlor manchmal die Kontrolle. Die allerdings hatte er sehr bald wiedererlangt, nachdem er das Licht gelöscht und den Flur betreten hatte.
Tief atmete er durch.
Er wußte, daß sein Platz hier auf der Wache war. Nahe bei den Toten, damit er eine Veränderung
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