1006 - Das Palladium
huschten und wie fremde, unheimliche Wesen an den Wänden tanzten.
Keiner von ihnen sprach jetzt noch. Sie waren voll konzentriert auf die Lade. Sie schauten auch nicht in unsere Richtung. Um sie herum hätte Panik ausbrechen können, Menschen wie sie hätten sich nicht ablenken lassen.
So konnte ich es riskieren. Um allerdings die Kapelle betreten zu können, mußte ich erst das silberne Skelett zur Seite schieben.
Ich legte meine Hände auf die knöchernen Schultern und wunderte mich darüber, daß sie nicht kalt waren. Durch die Knochen rieselte ein warmer Strom, als wäre diese Gestalt garnicht tot, sondern auf eine besondere Art und Weise am Leben, wobei dieses Leben in seinen Knochen und Gebeinen verborgen war.
Es hinderte mich nicht daran, meinen Weg zu gehen. Es warnte mich nur. »Sei vorsichtig!«
»Darauf kannst du dich verlassen.« Erst jetzt fiel mir ein, daß ich das Schwert noch immer festhielt. Auch das Kreuz schimmerte vor meiner Brust. Es strahlte nur keine Wärme ab. Hier existierten die Dämonen nicht.
Allmählich geriet auch die Lade in mein Blickfeld und mit ihr die beiden Cherubim.
Sie hatten sich nicht wieder in ihre alte Stellung zurückgedreht, sondern starrten die Templer an oder auf sie nieder, da sie ja erhöht hockten. In ihren Gesichter sah ich kein Leben. Sie blieben völlig starr, und es war ihnen auch nicht anzusehen, ob sie elektrisch geladen waren oder nicht.
Das gleiche galt für das Palladium selbst. Ob es nun aus Holz oder aus Metall bestand, war für mich noch immer nicht herauszufinden.
Der Bibel nach war sie aus Holz gebaut worden. Vielleicht hatte sie einen Anstrich bekommen oder war durch Metall geschützt worden.
Ich konnte da nur spekulieren.
Ablenken lassen durch meine eigenen Gedanken wollte ich mich nicht, obgleich es mir nicht leichtfiel. Für mich waren einzig und allein die Templer und die Lade wichtig.
Sie waren schon ziemlich weit an sie herangekommen. Ich stand seitlich von ihnen und hörte von der zweiten schmalen Tür her ein leises Knirschen.
Hector de Valois hatte sich in Bewegung gesetzt und kam auf mich zu. Obwohl er nicht lautlos ging, wurde er von den Templern nicht gehört. Sie waren zu stark mit sich selbst beschäftigt, denn sie standen nur Schritte von der Erfüllung ihres großen Traums entfernt.
Tut es lieber nicht, dachte ich bei mir. Wieder kam mir in den Sinn, sie zu warnen. Aber ich erinnerte mich auch an Hectors Worte und hielt den Mund.
Wenn die Gruppe der Templer jetzt noch einen Schritt nach vorn ging, mußten sie die Lade anfassen können. Ich wartete darauf, daß sie es taten, aber sie ließen sich Zeit. Sie blieben stehen, hielten sich an den Händen fest, die Blicke gegen die Lade und auch gegen die beiden Cherubim gerichtet.
Dann bewegten sich ihre Lippen. Zuerst leise, dann immer lauter sprachen sie ihre Fürbitten. Hector de Valois schüttelte den Kopf.
»Mörder, die beten.« Er regte sich auf. »Doch es wird ihnen nichts bringen. Sie haben sich einfach zu weit vorgewagt.«
Ich stand hinter den Templern und schaute auf ihre Rücken. Die Flammen gaben noch immer ihr unregelmäßiges Licht. Sie verteilten Helligkeit und Schatten, so daß die geisterhafte Atmosphäre blieb, aber das Licht schien dunkler geworden zu sein.
Wann endlich gingen sie?
Noch murmelten sie die Gebete. Sie neigten die Köpfe und sprachen die letzten Worte in diesen Haltungen, denn als sich die Körper wieder aufrichteten, waren die Templer stumm.
Die Entscheidung war getroffen.
Sie gingen vor.
Einen kleinen Schritt, danach den nächsten – und damit hatten sie die Lade erreicht.
Ihre Hände lösten sich. Jeder sollte die Chance bekommen, die Lade zu berühren. Sie wollten den ersten Kontakt haben, um sie später wegschaffen zu können.
Es war auch der Augenblick der fiebrigen Spannung für mich. Es gab nur noch diese Szene vor mir. Ich stellte wie nebenbei fest, daß ich meine Hand so hart um den Schwertgriff geklammert hatte, als wollte ich ihn zerdrücken.
»Sie tun es!«
Hector hatte sich gemeldet. Von mir bekam er keine Antwort. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf die Templer.
Sie wollten die Lade. Sie hoben die Arme an und taten somit den letzten Schritt.
Kontakt!
Und die Lade reagierte!
***
Sie handelte auf ihre Art und Weise. Ich stand wie gebannt auf dem Fleck und schaute zu. Es war wahnsinnig, es war zugleich auch ungeheuerlich und auf irgendeine Art und Weise phantastisch.
Ich hörte mich selbst schreien. Aber es
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