1008 - Endloser Schrecken
einen Cognac zum Kaffee. Das brauchte er jetzt einfach.
Die anderen hatten darauf verzichtet.
Das waren Jane Collins, Shao und natürlich Sir James. Sarah Goldwyn, die Horror-Oma, war nicht mitgekommen und hatte Jane allein fliegen lassen.
Der gemietete Van stand vor dem Haus. Mit ihm waren die Trauergäste vom Flughafen gekommen und hatten in diesem recht großen Wagen alle Platz gefunden.
Die Kanne war leer. Glenda stellte sie wieder weg und setzte sich.
Bill trank erst den Cognac, dann probierte er den Kaffee und schüttelte den Kopf, als er die Tasse absetzte. »Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll«, flüsterte er und schaute Suko an. »Nimm es mir nicht übel, aber glauben kann ich es nicht.«
»Es ist leider alles so eingetroffen, wie ich es erzählt habe.«
Sir James räusperte sich. »Und Sie wissen wirklich nicht, Suko, wo sich John versteckt haben könnte?«
»Nein. Er fuhr davon, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Das sah mir schon sehr nach einer Flucht aus. Aber auch einer vor sich selbst, meine ich.«
»Hoffentlich hat er keinen Unsinn gemacht und ist durchgedreht«, flüsterte Jane Collins. Sie konnte den Schauer nicht abwehren.
»Wenn ich mir vorstelle, daß John mit dem Gesicht seines eigenen Vaters herumläuft, dann weiß ich nicht mehr weiter. Das ist für mich einfach ungeheuerlich, nicht zu begreifen.« Sie schlug ein paarmal mit der flachen Hand gegen ihre Stirn.
»Was denken Sie denn?« fragte Sir James zu Suko gewandt. »Wird John morgen zur Beerdigung nach Lauder zurückkehren?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Er kommt!« flüsterte Glenda und erntete von Sheila Conolly ein beifälliges Nicken. »Ich weiß, daß er kommen wird. Dazu kenne ich ihn gut genug.«
»Nein«, widersprach Sir James. »John muß in einer Verfassung sein, die mit der Normalität nichts zu tun hat. Da können Sie ihn noch so gut kennen, Glenda, in einer derartigen Extremlage handelt jeder Mensch außerhalb der Normen.«
»Und John ist auch nur ein Mensch wie wir alle«, fügte die Chinesin Shao hinzu.
»Und trotzdem will mir das nicht in den Kopf«, flüsterte Glenda.
»Da komme ich einfach nicht mit zurecht, wenn ihr versteht. John kann doch nicht als sein eigener Vater durch die Welt laufen, und wir begraben statt dessen den Vater mit dem Gesicht des Sohnes.«
»Dann müssen wir ihn früh genug finden«, sagte Bill. »Hast du schon an eine Suchaktion gedacht, Suko?«
»Gedacht schon. Aber ich werde mich hüten, sie in die Tat umzusetzen. Ich weiß beim besten Willen nicht, wo wir beginnen sollen. Dieses Land ist groß. Verstecke findet man überall, auch wenn man es nicht kennt. Wir würden uns verzetteln.«
»Was schlagen Sie denn vor?« wollte Sir James Powell wissen.
»Gar nichts.«
»Ja, Sir, Sie haben richtig gehört. Wir werden nichts machen, wir können nichts tun. Wir können nur die Nacht abwarten und hoffen, daß John morgen zur Beerdigung seiner Eltern erscheint.«
»Oder vielleicht schon früher«, murmelte Sir James. »Dann wäre es sinnvoll, Wachen nahe der Trauerhalle aufzustellen. Oder haben Sie einen besseren Vorschlag?«
Den hatte keiner.
Bill, Jane und auch Suko boten sich an, diese Wache zu übernehmen, selbst Shao wollte nicht im Haus bleiben, aber sie kamen davon ab, denn keiner konnte sich vorstellen, daß John Sinclair in der Nacht zurückkehrte, um seinem Vater den Kopf abzuschlagen.
Überhaupt traute ihm niemand so etwas zu.
»Es gibt auch die Möglichkeit«, sagte Sheila, »daß John hierher kommt. Er weiß doch, daß er hier Hilfe hat. Wir sind seine Freunde, und auf uns kann er sich verlassen. Oder sehe ich das vielleicht zu optimistisch?«
»Ich denke schon«, sagte Suko, der sich durch Sheilas Frage angesprochen fühlte.
»Ist er denn so fertig?« flüsterte Glenda.
»Ja, so habe ich ihn noch nie erlebt. Ich hoffe trotzdem, daß er noch weiß, was er tut. Sonst sehe ich schwarz. Dann fällt er in das absolut tiefe Loch.«
Sie schwiegen. Jedem war klargeworden, daß sie nicht in der Lage waren, John zu helfen, und keiner von ihnen wollte in die Leichenhalle gehen und sich die beiden Sinclairs anschauen. Die Särge waren mittlerweile geschlossen worden und wurden sicherlich von einem Meer aus Kränzen und Blumen bedeckt.
Auch außerhalb des Hauses verlor der Tag allmählich die Kraft. Es würde bald dunkel werden, eine Nacht lag vor ihnen, und für alle würde sie lang, sehr lang werden…
***
Ich wurde wach, aber ich wußte nicht,
Weitere Kostenlose Bücher