1008 - Endloser Schrecken
wie lange ich geschlafen hatte. Jedenfalls fühlte ich mich nicht gut und auch nicht ausgeruht.
Meinem Magen waren die Anstrengungen ebenfalls anzumerken. Er hatte sich in eine Säurefabrik verwandelt.
Draußen war es längst dunkel geworden. Die Umrisse der wenigen Möbel im Zimmer waren nur schwach zu erkennen. Ebenso wie das Fenster, hinter dem die Dunkelheit lauerte.
Die Gaststätte schien wirklich nicht stark frequentiert zu sein, denn die Stimmen irgendwelcher Gäste waren nicht zu hören. Alles hielt sich in Grenzen, oder es war bereits geschlossen worden. Das konnte natürlich auch sein, denn ich hatte das Zeitgefühl verloren.
Etwas mehr als mühsam setzte ich mich hin. Die weiche und durchgelegene Matratze tat dem Rücken nicht eben gut, aber das war jetzt nicht so wichtig. Ich suchte nach dem Lichtschalter, und die Lampe neben mir wurde hell.
Ich schaute auf die Uhr.
Die vierte Morgenstunde war angebrochen.
Beinahe hätte ich mich erschreckt. Ich hatte nicht damit gerechnet, so lange geschlafen zu haben. Schließlich war ich noch bei Tageslicht ins Bett gegangen. Der Körper hatte eben sein Recht verlangt. Ausruhen, einmal tief und fest schlafen. Alles hinter sich lassen, um wieder fit zu werden.
So fühlte ich mich allerdings nicht.
Der Whisky und das Bier hatten sich nicht vertragen. In meinem Mund hatte sich ein Geschmack ausgebreitet, über den ich besser nicht spreche. Einfach widerlich!
Ich schlich auf das Waschbecken zu. Dann spülte ich mir den Mund aus. Ich wusch mich auch so gut wie möglich. Trocknete mich mit einem alten Handtuch ab, löschte wieder das Licht und bewegte mich im Dunkeln auf das Fenster zu, das ich aufzerrte.
Es war wieder eine kalte Nacht in den Highlands geworden. Ich fror leicht, als mich der Wind erwischte. Auf meinem Gesicht bildete sich eine Gänsehaut. Das leichte Zittern ließ sich ebenfalls nicht unterdrücken. Außerdem hatte ich gequalmt, und ich hustete in die Dunkelheit hinein.
Trotzdem tat mir die frische Luft gut. Sie vertrieb den Dunst aus meinem Kopf. Ich konnte wieder klarer denken, und natürlich fiel mir meine eigene Situation wieder ein.
Ich war nicht mehr ich. Jetzt lief ich mit dem Gesicht meines Vaters durch die Gegend, und ich wußte nicht, wie ich das noch ändern sollte. Ein verdammt schwerer Weg lag vor mir. Es war klar, daß ich mich hier nicht verstecken konnte. Ich mußte mich den Dingen stellen und auch wieder zurück.
Heute war der Tag der Beerdigung!
Der Gedanke daran ließ mein Herz schneller schlagen. Schweiß bildete sich auf meinen Handflächen.
Draußen stand der Wagen. Ich brauchte nur einzusteigen und nach Lauder zurückzufahren, das war alles.
Aber es fiel mir schwer. So verdammt schwer. Es würde mich eine wahnsinnige Überwindung kosten. Auf der anderen Seite wußte ich, daß es keinen anderen Weg zum Ziel gab. Ich war zwar nicht der Mittelpunkt dieses Geschehens, aber auch keine Randfigur.
Ich schloß das Fenster. Dann ging ich zum Bett und schaltete das Licht aus.
Auf dem Bett blieb ich sitzen. Die Hände hielt ich vor das fremde und mir doch vertraute Gesicht. Ich war unruhig wie noch nie im Leben. Einige Stunden Galgenfrist standen mir noch bevor, dann würde ich die Leichenhalle und den Friedhof erreicht haben, um das Geschehen dort zu verfolgen.
Ich war nicht mehr allein!
Jemand bewegte sich in meiner Nähe. Zwar wurde ich nicht berührt, aber der kühle Hauch stammte sicherlich nicht von draußen.
Ich kannte ihn gut.
Ich schaute hoch.
Da sah ich Donata!
Sie stand vor mir. Sie war ein Geist. Sie war auf einmal erschienen, um mich zu besuchen, und ich blieb in dieser starren Haltung zunächst sitzen, ohne ein Wort zu sagen.
Donata lächelte mir zu. Ernst und zugleich auffordernd. Sie wollte mir auf diese Art und Weise mitteilen, daß es für mich kein Zurück gab, und sie mußte wahrnehmen, wie ich die Schultern hob.
»Es war gut, daß du dich zurückgezogen hast und zunächst einmal allein geblieben bist, John. Du brauchst dich nicht zu fürchten, wahrlich nicht, aber ich sage dir ehrlich, daß es kein leichter Gang für dich werden wird.«
»Ja«, murmelte ich, »das weiß ich. Aber ich möchte auch nicht hier bleiben und mich verstecken.«
»Das darfst du auch nicht.«
Ich wies auf mein Gesicht. »Du siehst selbst, was mit mir geschehen ist, Donata. Ich bin nicht mehr derjenige, der ich einmal war. Ich bin ein anderer. Ich kann nicht mehr aus diesen Dingen herauskommen. Ich habe mich selbst
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