101 - Das Narbengesicht
Da wollte mich Osibira von hinten umschlingen.
„Nein, mein Freund!" preßte ich mühsam hervor. „So leicht läßt sich der Schwarze Samurai nicht erledigen."
Ich tauchte unter den gierig vorgestreckten Händen hindurch. Vom eigenen Schwung vorwärtsgerissen prallte er gegen Yobishi. Die beiden umschlangen sich gegenseitig. Sie würgten sich, stürzten und kamen wieder auf die Beine. Keiner konnte den anderen zu Fall bringen. Es knirschte, als Yobishi den Hals seines Freundes umklammerte.
Verwundert erkannte ich, daß die beiden nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden konnten. „Beim Drachen!" heulte der Mönch und schwenkte seine Kräuterpfanne. „Packt ihn, zerrt ihn in die Pestgrube! Seid gehorsam!"
Die beiden Untoten wälzten sich am Boden. Keiner gab nach. Blindwütig rangen sie miteinander.
Sie würden so lange miteinander kämpfen, bis der Fluch von ihnen gewichen war, der sie zum Leben erweckt hatte.
„Schweig!" rief ich dem Mönch zu. „Du wirst keine Befehle mehr geben. Die Kreaturen gehorchen dir nicht mehr. Das ist der Anfang vom Ende."
Er wollte mir die Tür vor der Nase zuschlagen, doch ich schob blitzschnell meinen Fuß zwischen den Spalt. Tomoe schrie gellend auf. Sie war weiß wie ein Laken.
„Ich hätte dich gleich töten sollen, Mönch!"
Ich stieß ihn zu Boden. Er wollte mit der Kräuterpfanne nach mir schlagen. Ich erwischte sein Handgelenk und bog es kräftig zurück. Schreiend ließ er los. Die Kräuterpfanne fiel auf den Boden und zerschellte. Verbrennende Kräuter versengten die Dielen.
Dann schlug ich mit dem Schwert zu. Mein Hieb zertrennte seine Kutte. Jetzt sah ich seine Haut, Sie war geschuppt wie die einer Schlange. Nur sein Kopf besaß normale Menschenhaut. Er wand sich entsetzt durch die Hütte.
„Bleib stehen, Mönch!" forderte ich ihn auf. „Kämpfe um dein erbärmliches Leben!"
Als er einen brennenden Ast aus dem Feuer riß und nach mir schleuderte, zielte ich mit dem Schwert nach ihm. Ich erwischte ihn am Arm. Er schrie gellend auf, und eine grünliche Flüssigkeit tropfte aus seiner Wunde.
„Wer bist du?" fragte ich.
Er lachte gequält, denn er wußte, daß ich ihm überlegen war. Seine beiden untoten Sklaven wälzten sich immer noch im Schnee.
„Wer bist du, Mönch?"
„Ich diene dem Drachen", knurrte er. „Verschwinde, Schwarzer Samurai, oder du wirst es bereuen." Ich lachte kehlig und schwang das Tomokirimaru.
„Diese Klinge dürstet nach Drachenblut!"
Ich wollte mich auf ihn stürzen, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Auf einmal taumelte ich. Das Innere der Hütte schien sich vor meinen Augen zu drehen. Die grünen Giftschwaden aus' der Kräuterpfanne drangen ätzend in meine Lungen.
Das Teufelszeug betäubt dich! schoß es mir durch den Kopf.
Ich hielt erschöpft inne. Eine bleierne Müdigkeit ließ meine Arme und Beine schwer werden. Ich strich mit der Linken über die Eisenmaske. Sie schien Zentner zu wiegen. An meinem linken Arm hing der Kopf des Rokuro-Kubi. Er zog meinen Arm in die Tiefe. Er wog fast mehr als mein kostbares Schwert. Ich erinnerte mich an den Kampf gegen die fliegenden Köpfe. Den Rokuro-Kubi, der sich in meinen linken Arm verbissen hatte, trug ich seitdem ständig bei mir.
Ich schwankte. Vor meinem inneren Auge sah ich vor mir, wie ich Tomoe geraubt hatte. Ich erlebte noch einmal, wie die fliegenden Köpfe auf mich eindrangen. Mühsam vertrieb '' ich die grauenvolle Vision. Nun sah ich das höhnisch grinsende Gesicht des Mönches vor mir.
„Jetzt stirbst du, Schwarzer Samurai!"
Ich bäumte mich auf. Die grünen Dämpfe umgaben mich wie der Pestatem einer Urzeitbestie. Das Zeug wirkte wie der Biß eines schwarzen Schmetterlings.
„Komm mit in die Pestgrube, Schwarzer Samurai!"
Ich wollte mein Schwert heben und zuschlagen. Ich wollte ihn töten, aber gegen meinen Willen ließen meine Finger das Tomokirimaru los. Es klang wie der Gong des Scharfrichters, als die Waffe auf den Boden polterte. Der Mönch hatte mich besiegt.
„Sohn einer Mujina!" höhnte der Unheimliche. „Jetzt nützen dir deine dämonischen Kräfte auch nichts mehr."
Mit letzter Kraft richtete ich mich auf.
„Nein, Mönch… Du hast zu früh triumphiert!"
Ich löste die Eisenmaske mit einem Ruck vom Kopf. Das leuchtende, glatte und völlig leere Eigesicht, das Erbe meiner Mutter, kam zum Vorschein. Der Mönch konnte sich nicht rechtzeitig abwenden. Ich hörte seine bestialischen Schreie, als er sein Gesicht verlor.
„Nicht hersehen,
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