101 - Das Narbengesicht
Tomokirimaru aus der Scheide. Die Klinge schimmerte in der Glut des Herdfeuers.
„Wer bist du, Hund? Du hast es gewagt, wie ein gemeiner Dieb in die Hütte meines Mädchens zu schleichen. Komm heraus, damit ich dir den Schädel vom Rumpf schlagen kann!"
Der Mönch trat ins Licht. Er trug eine dunkle Kutte und hatte seine Hände unter dem dunklen Stoff verborgen. Er war schon alt, doch sein Gang war aufrecht wie der eines jungen Mannes. Er war kahlköpfig, und seine Augen verrieten Intelligenz und Verschlagenheit. Um den Hals hing eine kleine Kräuterpfanne, aus der grünliche Dampfschwaden stiegen. Der penetrante Gestank war mir sofort aufgefallen.
„Du solltest mir dankbar sein, daß ich das O-jochu vor dem Schwarzen Tod bewahren konnte." „Spar dir deine salbungsvollen Sprüche", rief ich zornig. „Niemand außer mir bezeichnet Tomoe als O-jochu."
„Setz dich", sagte der Mönch. „Du bist müde vom langen Ritt."
„Wie ist dein Name?" fragte ich, ohne auf seinen Vorschlag einzugehen. „Ich will wissen, wie du heißt, bevor dich mein Tomokirimaru zur Hölle schickt."
Als ich den Namen des Schwerts erwähnte, glommen seine Augen gierig auf. Mir entging nicht, daß er die Waffe begehrlich anstarrte. Wenn dieser Fremde ein Mönch war, dann war ich ein Heiliger. Ich mußte herausfinden, was er von Tomoe wollte.
„Du wirst mich nicht töten", sagte er spöttisch. „Du brauchst meine Hilfe, wenn du nicht in der Grube des Schwarzen Todes landen willst."
Ich überlegte, ob ich den Burschen töten sollte oder nicht. Auf einmal wieherte mein Hengst schrill auf. Seine Vorderhufe trommelten gegen die Hüttenwand. Sein Schnauben klang kläglich.
„Was hat das Tier?" fragte ich argwöhnisch.
„Der Schwarze Tod ist allgegenwärtig", flüsterte Tomoe. Sie senkte traurig ihre Augen. Jede Frau war traurig, wenn ein Samurai sterben mußte.
Ich musterte den Mönch mißtrauisch. Er schien genau zu wissen, daß ich in der Falle steckte. Plötzlich brach das Wiehern meines Hengstes ab.
Ich packte das Schwert und stieß die Tür auf. Eisige Böen peitschten mir entgegen. Die beiden Gestalten verschmolzen fast mit der Dunkelheit. Sie beugten sich über mein Pferd. Das Tier lag da und zuckte. Sie hatten mein Zaumzeug achtlos in den Schnee geworfen. Rotes Blut glänzte, und dampfende Wolken standen über dem Kadaver.
„Ihr Bastarde habt meinen Hengst getötet! Dafür werde ich euch vierteilen!"
Die beiden Männer schienen keine Angst zu haben. Sie drehten sich um und sahen mich an. Erst jetzt erkannte ich ihre Gesichter. Ich hatte das Gefühl, als griffe eine eisige Hand nach meinem Herzen. Vor mir standen Yobishi und Osibira. Sie waren so blaugefroren wie das Wasser im See, doch sie bewegten sich.
„Kommt mir nicht zu nahe!" schrie ich und schwang das Tomokirimaru. „Wer immer euch zum Leben erweckt hat, wird zusehen müssen, wie ich euch in Stücke schlage."
Sie stapften auf mich zu. Ihre Augen waren leer und schimmerten wie reifüberzogene Kieselsteine. „Wagt es nicht, noch näher heranzukommen!" schrie ich heiser. „Bei meinem Daimyo, dem Kokuo no To koyo, ich vernichte euch!"
Ich verzichtete auf das Kampfritual der Samurais. Ohne zu zögern verstellte ich dem ersten den Weg. Es war Osibira, der jüngere von beiden. Ich schwang das Tomokirimaru, um ihn zu köpfen. Die federnde Klinge traf seinen Hals. Ein Klirren ertönte, als schlüge ich gegen einen Felsbrocken. Unter der Wucht des Aufpralls zersprang das Lederband, das seinen Rückenschild festhielt. Die Klinge rutschte an seinem Hals ab.
Ich sprang zurück. Wie war das möglich? Mein Schwert konnte sogar Felsblöcke zerteilen. „Höllisches Blendwerk!" keuchte ich.
Hinter mir ertönte das Lachen des Mönches.
„Was habe ich dir gesagt, Samurai?" rief er kichernd. „Der Schwarze Tod ist allgegenwärtig. Gleich wirst du den beiden in die Pestgrube folgen. Sie sind nur gekommen, um dich abzuholen. Bei ihnen wirst du liegen, bis die Frühlingssonne euch auflöst."
„Das wirst du bestimmt nicht erleben, Elender!" stieß ich hervor.
Osibira und Yobishi drangen auf mich ein. Ich achtete darauf, daß sie mich nicht berührten. Wenn sie den Schwarzen Tod verbreiteten, würde ich mich sofort bei ihnen anstecken und langsam dahinsiechen.
Ich hielt mir die Gegner durch ein Dutzend harter Schläge vom Leib. Doch ich konnte keinen von beiden ernstlich verwunden. Nur die Wucht meiner Schläge trieb sie zurück. Ihre Kleidung hing ihnen in Fetzen vom Leib.
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