1013 - Der Blut-Abt
sich heranziehen. Sie war so grausam, sie paßte nicht zu einem Menschen, und doch fühlte sich Titus als Mensch von ihr angezogen.
Hatte ihn diese Botschaft aus dem Schlaf gerissen, weil das Unterbewußtsein von ihr berührt worden war?
Er konnte es nicht sagen, und er wollte auch nicht darüber nachdenken. Eines jedoch stand fest: Die Botschaft war stärker als sein eigener Wille.
Titus schüttelte den Kopf. Sein Atem ließ die Scheibe beschlagen, was den Mönch irritierte. Er trat zurück. Dabei schüttelte er den Kopf, hielt den Blick aber auf die Scheibe gerichtet.
Wieso verschwand dieser feuchte Fleck nicht? Für Bruder Titus war es ein weiteres Indiz dafür, daß hier etwas nicht stimmte, daß da draußen eine Gefahr lauerte.
Etwas wartete auf ihn. Etwas wollte ihn, und so drehte sich Bruder Titus um und ging auf die Tür seines Zimmers zu.
Seine Schritte waren dank der Gummisohlen kaum zu hören. Er konnte sich anschleichen. Niemand sollte wissen, daß er sich auf den Weg gemacht hatte.
Wie ein Schatten bewegte er sich durch die Gänge. Seine Kutte schwang bei jedem Schritt hin und her wie eine große Glocke. Licht benötigte er nicht, denn er kannte sich im Kloster aus. Schließlich war es zu seiner Heimat geworden.
Die anderen schliefen oder lagen zumindest in ihren Betten. Sie würden nichts hören, sie würden nichts sehen, und sie würden auch nicht mitbekommen, wenn er das Kloster verließ. Auch der Besucher nicht, denn der hatte sich nach den großen Anstrengungen als erster hingelegt, was ihm auch zu gönnen war.
Obwohl der Mönch nicht gestört wurde, steckte er voller Spannung und atmete erst auf, als er die Außentür erreichte. Dort blieb er für einen Moment stehen.
Er schaute sich noch einmal um. Es war so etwas wie ein Blick des Abschieds, und er spürte noch einmal den Herzschlag in seiner Brust. Ein fast schmerzhaftes Ziehen, das eine große Furcht in ihm hochsteigen ließ. Angst vor dem Abschied?
Der Mönch wußte es nicht genau. Es hatte auch keinen Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, gewisse Dinge mußten erst in die Wege geleitet werden. Vielleicht war es ihm dann möglich, wieder zurückzukehren, obwohl er so recht daran nicht glauben konnte.
Er öffnete die Außentür. Und plötzlich wollte er nicht mehr in den Mauer bleiben. Der Drang, endlich von hier wegzukommen, überstieg alles andere. Das war nicht mehr seine Heimat. Vor ihm lag ein neues Leben. Er würde jemanden treffen, der für seine eigene Zukunft sehr wichtig war.
Einige Schritte lief er in den Innenhof hinein, hielt sich dabei aber vom Licht der Außenleuchte fern. Wie so oft in den frühen Morgenstunden war es auch in dieser Nacht dunstig. Aber der Nebel hielt sich in Grenzen.
Ein dichtes Band aus Wolken versperrte den Blick auf die Gestirne, doch Titus freute sich, denn er ließ die Klostermauern hinter sich.
Der Mönch lief durch die Nacht. Für ihn hatte sie ihre Normalität verloren. Sie war anders als andere. In ihr steckte etwas, das er nicht fassen oder begreifen konnte. Eine Botschaft aus einer fremden Welt, oder von einem Fremden. Da war sich Titus nicht sicher. Jetzt stellte er sich vor, daß ihn diese Botschaft aus dem tiefen Schlaf gerissen hatte.
Keine Geräusche, kein Laut, sondern eben die Botschaft aus der nicht meßbaren Ferne.
Auch sie mußte ein Ziel haben. Irgendwo mußte jemand sein, der auf ihn wartete und ihn in den neuen Kreislauf mit hineinziehen wollte. Er konnte sich nicht dagegen stemmen, und er wollte es auch nicht.
Pater Titus blieb plötzlich stehen. Es gab offiziell keinen Grund dafür. Nun aber stellte er fest, daß er die Mauern längst hinter sich gelassen hatte. Er war nicht den Weg gegangen, den auch die Autos benutzten. Er hatte sich einfach ins Gelände geschlagen und mit traumwandlerischer Sicherheit den schmalen Pfad gefunden, der ihn in die Berge führte. Folgte man ihm, gelangte man ins Tal und zu dem Sumpf, aus dem die sechs Blutsauger gestiegen waren.
Titus ging einfach weiter. Es gab kein Ziel für ihn. Er bewegte sich mit kleinen Schritten vor. Schielte dabei nach rechts und versuchte, wenigstens etwas zu erkennen. Tief in seinem Innern spürte der Mann, daß er seinem Ziel immer näher kam, wo jemand auf ihn warten würde.
Bruder Titus sah beileibe nicht so aus, wie man sich einen Mönch vorstellte. Er war ziemlich klein, auch dünn und hatte schütteres, dunkles Haar. Keine Leitfigur, auch wenn er für kurze Zeit den verreisten Abt vertreten
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