1013 - Der Blut-Abt
Schnäbeln, mit den Füßen, den Krallen, sie waren einfach nicht aufzuhalten.
Ich ließ mich nicht beirren. Allerdings hatte ich noch gewartet. Marek war nicht gekommen. Er mußte es nicht gehört oder nicht geschafft haben.
Ich hatte den Motor gestartet. Plötzlich überkam mich eine schon wahnsinnige Ruhe. Ich wußte, daß es jetzt einzig und allein auf mich ankam.
Alles wie gehabt, nur unter anderen Bedingungen. Ich stellte die Scheibenwischer an, da sich zahlreiche Vögel nahe der Frontscheibe bewegten.
Das Hin- und Herzucken irritierte die Tiere. Sie flogen weg, meine Sicht wurde frei. Da ich schon angefahren war, sah ich, wie ich mich verhalten mußte.
Ich gab Gas, auch in der Linkskurve, in die ich hineinfuhr, um an das Ziel zu gelangen.
Der Hexenmeister hatte seinen Standort kaum verändert. Vielleicht war er einen Schritt nach vorn gegangen. Rechts von mir kämpfte Marek gegen die fliegenden Bestien. Er war wieder auf die Füße gekommen, er wühlte mit beiden Armen, und er hielt sogar noch seinen Pflock umklammert, mit dem er immer wieder zustieß.
Ob er einige Vögel traf oder getroffen hatte, ob er selbst blutete, sah ich nicht. Es war nicht gegen Marek persönlich gerichtet, aber im Augenblick mußte ich mich auf den Hexenmeister konzentrieren.
Er sah sich als Sieger, und er dachte nicht daran, aus dem Weg zu gehen. Vielleicht vertraute er auch auf seine Vögel, die versuchten, mich aufzuhalten. Sie waren zwar zahlreich, aber sie schafften es doch nicht, mir die Sicht zu nehmen.
Ich gab Gas. Und es war mir scheißegal, ob ich den BMW später gegen die Mauer setzte. Mit seiner Schnauze rammte er wuchtig die Gestalt des Blutsaugers, die plötzlich zu einer sich ziellos bewegenden Puppe wurde. Sie flog durch die Luft, sie fiel wieder nach unten, driftete dabei nach links weg, und ich lenkte den Wagen ebenfalls genau diese Richtung.
Dann überfuhr ich ihn.
Erst mit den Vorder-, danach mit den Hinterrädern, stoppte haarscharf vor der Mauer, warf den Rückwärtsgang hinein und überrollte ihn noch einmal, bevor er sich erheben konnte.
Dann stieg ich aus.
Die Vögel waren nicht mehr wichtig. Einige scheuchte ich zur Seite und ließ mich dort in die Knie fallen, wo der Blutsauger zuletzt überfahren worden war.
Er war nicht erledigt. Er würde kommen, das wußte ich, und darauf wartete ich.
Viel Zeit ließ er sich nicht. Ihn lockte einfach zu sehr das Blut. Ich sah ihn hervorkriechen. Lange Hände mit schmutzigen Fingern, zu Klauen gekrümmt.
Der Kopf folgte, das Gesicht!
Ein Schnabelhieb erwischte mich am Ohr. Ich kümmerte mich nicht darum, sah nur das verzerrte und fast schon entstellte Gesicht des Hexenmeisters, und er sah dann die Waffe, die ihn endgültig vernichten würde.
Es war mein Kreuz.
Ich drücke es gegen sein Gesicht!
Im letzten Augenblick war ihm klargeworden, was ich mit ihm vorhatte. Entsetzen verzerrte seinen Blick, dann hörte ich es zischen, als das Kreuz in die Fratze eine tiefe Wunden hineinstieß. Die Haut wurde aufgerissen, stinkender Rauch wehte mir entgegen und raubte mir die Atemluft.
Aber das Gesicht blieb nicht mehr. Es sackte zusammen, die Haut riß auf, unter ihr knirschten die Knochen, und der Wind wehte die Haare davon wie Federn.
Die Vögel waren weg. Ich hörte sie schreien und krächzen. Sie verschwanden in den Wolken, denn es gab keinen mehr, der ihnen Befehle geben konnte.
Der Kopf des Hexenmeisters löste sich auf, und ich schaute dabei zu. Das morsche Gebein fiel zusammen. Es hatte seine helle Knochenfarbe verloren und war braun wie alte Erde geworden. Die Augen schrumpften zusammen, die Nase zerbrach.
Staub blieb zurück.
Alter, graubrauner Staub, und der würde auch den Körper erfassen, den ich nicht sah, weil er unter meinem Wagen verborgen lag.
Ich stand auf und zog mich dabei am Wagen hoch. Als ich mich drehte, sah ich Frantisek Marek. Er saß auf dem Boden, gestützt auf seinen Pfahl. Blut bedeckte sein Gesicht und hatte sich auch in den Haaren gesammelt, wo die Schnäbel die Kopfhaut erwischt hatten.
Ich ging auf ihn zu. Er wischte über sein Gesicht. Die Lippen zerrte er auseinander.
»Soll ich dich jetzt fragen, wie es dir geht, alter Kämpe?«
»Nein, John, aber hilf mir hoch.«
Das tat ich gern. Marek stützte sich bei mir ab. »Es ist schon ein Problem, wenn man versucht, Vögel zu pfählen. So gut bin ich auch nicht. Aber du hast mich gefragt, wie es mir geht.« Er lachte. »Mir geht es gut.«
»Ach ja?«
Marek nickte.
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