1013 - Der Blut-Abt
zurück, damit er in das Gesicht der wesentlich größeren Gestalt schauen konnte. Sie hatte den Blick gesenkt, und ein ungewöhnliches Augenpaar starrte auf ihn herab. Es war dunkel und zugleich hell. Dunkel in den Pupillen, aber sehr hell, beinahe weiß, was die Umgebung anging.
Der Mönch schauderte zusammen. Er fühlte sich wie in einem Gefängnis, und er wußte auch, daß er seinem Schicksal nicht entgehen konnte. Im Buch seines Lebens war die letzte Seite aufgeschlagen worden. Danach würde er in eine andere Existenz hineingleiten, er würde sein Blut verlieren und zu einem Wesen werden, das untot durch die Welt irrte, immer auf der Suche nach Blut.
Der Hexenmeister glotzte ihn an. In den Augen lag die Kraft der Finsternis. Er war für Titus nicht nur zu sehen, sondern auch zu riechen. Etwas Altes, etwas Modriges und auch irgendwo Unheimliches ging von ihm aus, das gegen den offenen Mund des Mönchs schlug, das er trank, in seinen Körper hineinsaugte und einen ersten Stoß der Übelkeit in ihm hochdrückte.
»Ich habe lange warten müssen, Titus, sehr lange, aber jetzt bin ich frei. Ich bin aus meinem Sarg hervorgeholt worden, um zu herrschen und zu richten.«
Titus wunderte sich darüber, daß er in der Lage war, überhaupt normal denken zu können. Eigentlich hätte er schreien müssen. Sich verkriechen, verschwinden, sich in den Boden hineindrehen wie ein Bohrer.
Er tat nichts.
Er war gefangen. Er war zu einer Puppe geworden, mit der ein anderer machte, was er wollte, und dieser mächtige Hexenmeister war kraftvoll genug, um ihn auch mit einer Hand zu halten, denn die andere brauchte er noch.
Wieder lächelte er. Ebensogut hätte auch ein Raubtier lächeln können, da gab es kaum einen Unterschied. Er strich mit einer freien Hand über die Wange des Mönchs hinweg. Titus spürte die Berührungen wie kalte Spinnenbeine, die über seine Haut huschten.
Noch immer blickte er mit verdrehten Augen in die Fratze des alten Blutsaugers. Die Zähne lagen jetzt wieder frei, und Josh sprach trotz der zurückgezogenen Oberlippe. »Meine Freunde wurden vernichtet, aber ich bin geblieben. Das Schicksal hat sich erfüllt, und ich werde eintauchen in das neue Leben.«
»Was willst du wirklich?«
»Blut!« Der Vampir hatte dieses eine Wort geflüstert und es sogar geschafft, seine Lippen zu spitzen. »Ich will Blut, nicht mehr und nicht weniger, und ich weiß auch, daß mir dein Blut besonders gut munden wird. Es wird für mich zu einer Wohltat werden. Ich werde seine köstliche Süße genießen können und mich daran laben.«
Titus hatte zugehört. Er war blockiert. Er wollte nicht begreifen, daß er das Ende seines normalen Lebens erreicht hatte. Er hatte seltsamerweise keine Angst. Es war nur das Gefühl in ihm, das ihm sagte, so etwas darf nicht wahr sein.
Und doch war es wahr.
Kein Traum, ebensowenig wie die Wölfe, denn aus einem waren drei oder vier geworden. Sie hatten sich aus ihren Verstecken gelöst und schauten nun zu.
Starr wie Denkmäler hockten sie in der näheren Umgebung und krallten sich mit ihren Pfoten im Erdreich fest. Aber sie lebten. Davon zeugte der Glanz in ihren Augen.
Was über das Gesicht des Mönchs strich, war kein Atem, denn Blutsauger atmen nicht mehr. Es war der faulige Geruch, der sich im Innern der Gestalt gesammelt hatte und nun durch den offenen Mund in das Gesicht des Mannes hineinwehte wie eine faulige Fahne.
Die langen Finger wanderten. Sie krallten sich im Haar des Mönchs fest. Nägel rissen über die Kopfhaut und hinterließen dort rote Spuren. Die Augen der unheimlichen Gestalt wurden noch kälter, noch größer. Für einen Moment erschien sogar eine Zunge, dann riß der Vampir sein Maul noch weiter auf.
Er senkte den Kopf, zerrte stärker am Haar seines Opfers, brachte dessen Kopf in die richtige Lage, damit sich die Halshaut straffte.
Adern traten hervor. Sie zeichneten sich in einem rötlichblauen Farbton ab.
Ob der Hexenmeister lachte oder fauchte, das war für den Mönch nicht herauszufinden. Dafür spürte er den Stich – nein, es waren eigentlich zwei, die ihm jedoch wie einer vorkamen.
Die Haut am Hals riß wie dünnes Papier. Die beiden Zähne senkten sich tief in das Fleisch hinein, sie rissen ein Loch in die Ader, und das erste Blut quoll hervor.
In dem Augenblick hatte der Hexenmeister bereits seine kalten Totenlippen auf die Haut des Mannes gepreßt, wo sie auch liegenblieben. Er fing an zu saugen und zu schlucken. Er labte sich. Das menschliche
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