1014 - Der Seelenkompaß
kam es ihm auf die eine oder andere Überstunde nicht an, aber in diesem Fall wollte er seine Ruhe haben.
Wer das Museum für Kriminalistik betrat, konnte sich in mehreren Räumen umschauen. Er fand dort die Gegenstände ausgestellt, die im Laufe der Jahre zusammengetragen worden waren. In der Regel Mordinstrumente. Dabei oft die abstrusesten Waffen, durch die Menschen vom Leben zum Tod befördert worden waren.
Da gab es Messer, Schußwaffen, Zangen, Tücher, Tüten, Giftspritzen, Hämmer und andere Werkzeuge, die dafür gesorgt hatten, daß Menschen durch die Hand anderer Menschen starben. Es war auch der schießende Regenschirm zu sehen und die Giftnadel, die aus einem Druckluftgewehr abgeschossen wurde.
Alles stand hinter Glas, jeder Gegenstand wurde erklärt, und in manchen Vitrinen waren auch die Fotos der Mörder oder Mörderinnen zu sehen. Für die Porträts interessierten sich besonders die weiblichen Besucher. Sie standen oft schaudernd davor und wußten nicht, welche Kommentare sie abgeben sollten.
Für Phil Warren war es Routine. Er kannte alles hier auswendig, hätte es wie ein Recorder aufsagen können und ließ sich auch manchmal dazu hinreißen, wenn die Besucher besonders nett waren.
An diesem Tag wollte er seine Ruhe haben und wartete darauf, daß auch die letzten beiden Besucher verschwanden. Sie kamen bereits auf den Ausgang zu. Beide waren noch jung. Wahrscheinlich Touristen, denn der junge Mann trug einen Rucksack auf dem Rücken. Seine Begleiterin hatte sich die Umhängetasche unter den Arm geklemmt. Hin und wieder hatte sie sich Notizen gemacht, was manchmal sehr profihaft ausgesehen hatte.
»Können wir?« fragte der Mann.
»Ja, wir sind durch.«
Phil Warren, der Wärter und ehemalige Polizeibeamte, atmete tief durch. Das lief besser, als er es sich gedacht hatte. Normalerweise hätte er das Museum noch eine halbe Stunde geöffnet haben müssen, aber das konnte er jetzt vergessen. Sobald die beiden den Bau verlassen hatten, wollte er schließen.
Das Paar kam auf ihn zu. Sie trugen Turnschuhe mit dicken Sohlen, so waren ihre Schritte kaum zu hören. Vor Phil Warren blieben sie stehen. Der Mann mit den dunklen Augenbrauen und dem ebenfalls dunklen Bart lächelte sie an. »Nun, hat es Ihnen gefallen?«
»Es war super«, antwortete der junge Mann.
»Das freut mich.«
»Besonders für uns«, erklärte seine Begleiterin. »Wir sind gewissermaßen dienstlich hier gewesen.«
»Oh, wie interessant.«
»Ja, wir sind frisch von der Polizeischule gekommen und werden bald unseren Dienst in Amsterdam antreten.«
»Sie kommen aus den Niederlanden?«
»Ja, aus Amsterdam. Und dort ist die Szene ziemlich gefährlich, denke ich.«
»Da haben Sie wohl recht, nach allem, was man so hört.«
Sie schauten sich noch einmal um. »Vergessen werden wir das nicht hier«, sagte der junge Mann.
»Sie können ja wiederkommen.«
»Werden wir vielleicht auch. Möglich ist alles. Vielleicht treibt uns mal ein Fall nach London.«
»Viel Glück.« Phil streckte ihnen die Hand entgegen und verabschiedete sich auf diese Art und Weise. Niemand sah ihm an, daß er froh war, die beiden loszuwerden.
Er schaute ihnen nach, als sie die breite Treppe mit den drei Stufen hinabgingen, dann atmete er tief durch und schloß die Tür des Museums.
Jetzt ging es ihm besser.
Er schloß sogar noch ab, weil er auf keinen Fall in seiner Ruhe und auch in seiner Beschäftigung gestört werden wollte, denn jetzt ging er seiner eigenen Aufgabe nach.
Wie jeden Abend nach der Schließung üblich, löschte er das Licht. Das geschah etappenweise. Der Reihe nach verschwanden die schaurigen Mordinstrumente im Dunkeln, und er ließ nur die Notbeleuchtung brennen, die ihren schwachen, aber unheimlich wirkenden Schein in den einzelnen Räumen verteilte.
Die Mordwaffen waren von der Dunkelheit nicht völlig verschluckt worden. Einige von ihnen wurden noch angestrahlt und sahen dabei schauriger aus als in der Realität.
Wie so oft dachte Phil Warren daran, was wohl geschehen würde, wenn sie anfingen zu leben. Sie würden unter den Besuchern Blutbäder anrichten, sie würden den alten Horror und Schrecken wieder zurückbringen und die Menschen in Angst und Panik versetzen.
Träume?
Warren lächelte, als er über dieses Wort nachdachte. Nein, das waren kaum Träume, denn er wußte es besser, auch wenn sein Wissen nichts mit den hier ausgestellten Waffen zu tun hatte, dafür aber mit einem anderen Phänomen.
Über das dachte er nicht
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