1014 - Der Seelenkompaß
zu einem Namen zusammensetzte, den Warren sehr langsam las und ebenso langsam, beinahe schon stöhnend aussprach.
»John Sinclair…«
Das Feuer zitterte, die Buchstaben ebenfalls. Aber nicht nur sie waren plötzlich so verändert, denn sie lösten sich schon auf, auch Phil Warren verwandelte sich. Er konnte plötzlich nicht mehr sprechen, seine Kehle war wie zugeschnürt, und er fühlte sich wie in einem Alptraum. Es lag einzig und allein daran, daß die Flammen diesen Namen gebildet hatten.
JOHN SINCLAIR!
Er war lange genug bei der Polizei gewesen, um mit diesem Namen etwas anfangen zu können. Er wußte, wer sich dahinter verbarg. Er hatte diesen Sinclair zwar nie persönlich kennengelernt, aber in ihm steckte eine Kraft, die ihn dazu befähigte, Dämonen und andere Diener der Schwarzen Magie nicht nur zu jagen, sondern sie auch zu vernichten oder sie zur Hölle zu schicken.
Ausgerechnet Sinclair - ausgerechnet er!
Er wollte schreien vor Wut, aber er brachte keinen Laut mehr hervor. Seine Angst machte ihn starr, und plötzlich sah die Zukunft nicht mehr so rosig aus.
Warum Sinclair? fragte er sich, und jedes Wort hämmerte sich dabei in sein Gehirn hinein. Warum ausgerechnet er, verflucht noch mal? Er wußte es nicht, es kam ihm nicht in den Sinn, darüber weiterhin zu spekulieren, es war alles so anders geworden. Sein Optimismus war verflogen, und er fühlte sich in seinem Refugium nicht mehr wohl.
Das Zittern konnte er nur mit großer Mühe unterdrücken. Er traute sich kaum, den Kompaß anzuschauen. Zu sehr hatte ihn alles aufgewühlt, und hinter seiner Stirn tuckerte es, als wäre jemand dabei, ihn mit kleinen Messern zu traktieren. Dieser aus Feuer gebildete Name hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Er wußte zunächst nicht mehr, was er tun sollte. Er war in ein tiefes Loch gefallen, und er wußte nicht, wie er wieder herauskommen sollte.
Tief, sehr tief war er gerutscht. Zu tief. Er mußte die Furcht besiegen, um sich wieder an die Oberfläche zerren zu können, aber das gelang ihm noch nicht.
Die Botschaft war klar.
Sein Mentor hatte sie ihm geschickt.
Es ging einzig und allein um John Sinclair, um keinen sonst.
Warum? An ihn hatte er nie gedacht, und eigentlich hätte Sinclair über seinen Mentor froh sein können, war er es doch gewesen, der die Seelen geholt hatte. Seelen von Verbrechern, von irren Killern und Mördern, von schon zu Lebzeiten Verdammten.
»Warum er?« keuchte Phil Warren und richtete seinen Blick gegen die Decke.
Der weite Himmel dort schwieg. Kein Gestirn gab ihm Antwort. Es blieb alles starr, aber Phil wußte genau, daß dort jemand lebte, existierte, daß er ihn beobachtete und auch jetzt wohl sah, wie Warren die Arme anhob und seine Hände gen Himmel reckte wie jemand, der um Vergebung bat.
Nur wollte er keine Vergebung. Er wollte Wissen, um nach dem Wissen die Macht zu erlangen.
Seine Arme sanken allmählich hinab. Er fühlte sich so kraftlos, so ausgelaugt. Die Seelenhalle hatte sich nach seinen Vorstellungen verändert. Sie war ihm so fremd geworden, so feindlich, und er umlief mit zitternden Schritten den Seelenkompaß.
»Sinclair!« flüsterte er scharf und zischend vor sich hin. »Er, der Geisterjäger. Weshalb will jemand seine Seele besitzen?«
Phil Warren kannte die Antwort nicht. Er wußte überhaupt nichts mehr, aber sein Gefühl sagte ihm, daß er hier in der Seelenhalle nicht länger bleiben konnte.
Mit unsicheren Schritten ging er auf die Tür zu. Er würde auch nicht zurück in seine Wohnung gehen, um dort die Nacht zu verbringen. Eine innere Stimme machte ihm klar, daß er die Stunden der Dunkelheit im Museum verbringen mußte.
Wie auf der Flucht riß er die Tür auf. Er stolperte über die Schwelle und konnte sich erst an der Treppe fangen.
Dann ging er nach oben.
Zum erstenmal in seinem Leben wünschte er sich ein Geländer, weil er sich so schwach fühlte. Aber er schaffte es, wenn auch mit keuchendem Atem.
Neben dem Schrank mit den Rollen unter den Füßen blieb er stehen.
Ein Name wollte nicht mehr aus seinem Gedächtnis weichen.
JOHN SINCLAIR!
***
***
Kurz vor Feierabend kam mir die Idee, die ich nicht für mich behielt und Suko sofort mitteilte.
»Wenn alle Stricke reißen, was hier wohl geschehen ist, bleibt uns noch eine Möglichkeit, um uns ans Ziel heranzupirschen.«
Suko, der dabei war, seine letzte Tasse Tee zu trinken, stellte die Tasse ab. »Welche?«
»Sarah Goldwyn, die Horror-Oma.«
Mein Freund lachte. »Und
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