1015 - Henkeraugen
nie zu meinen Freunden zählen würde. Sie waren einfach zu sehr von sich eingenommen und blasiert. Typen, für die andere Menschen überhaupt nicht existierten.
Sie fuhren einen Jaguar, der nicht weit von unserem Auto entfernt stand. Ich spielte die ganze Zeit über mit dem Gedanken, mit ihnen im Auto zu fahren. Da hatte ich sie unter Kontrolle, aber darüber gesprochen hatten wir noch nicht.
Da ich vorgegangen war, hatte ich den Jaguar als erster erreicht.
Auf dem roten Lack glänzte eine feuchter Film. An den Scheiben hingen Tropfen wie kleine Augen. Das Licht der vier Lampen reichte nicht bis zu mir. Es versickerte mehr an den Rändern des Parkplatzes.
Den Henker sah ich nicht.
Aber er war da.
Ich hätte keinem erklären können, woher ich das wußte. Es war einfach das Gefühl für eine Gefahr, das sich in den vergangenen Jahren bei mir entwickelt hatte. Mein Kreuz steckte noch immer in der Tasche. Hin und wieder strich ich mit der Hand hinweg und versuchte, eine Botschaft zu empfangen.
Es blieb normal.
Lady Sarah und Glenda Perkins hatten die Chestertons in die Mitte genommen, als sie über den Parkplatz gingen. Die Schutzengel-Funktion war nur äußerlich. Wenn der Angriff des augenlosen Henkers erfolgte, würden sie kaum eine Chance haben. Im Gegensatz zu ihnen konnte sich der Henker lautlos bewegen.
Außer uns befand sich kein Mensch mehr auf dem Parkplatz. Es war die Zeit, in der die Gäste noch beim Essen saßen. Erst gegen Mitternacht würden die Rückfahrten beginnen.
Julia Chesterton sprach. Ihre Stimme klang schrill. Sie wollte nicht mehr weitergehen und blieb stehen. Den hellen Mantel hatte sie dabei wie ein langes Cape über ihre Schulter gehängt. Mit wütender Stimme fuhr sie ihren Mann an. »Es ist alles deine Schuld. Deine und die Schuld deiner verdammten Familie. Hörst du? Hätte ich dich nicht geheiratet, wäre mir alles erspart geblieben. Einen Chesterton zu ehelichen, habe ich damals als eine Ehre angesehen. Ein großer Name, altes Geld, und was ist dabei herausgekommen?«
»Bitte, Julia…«
»Nein, Caspar, nein. Ich mache jetzt weiter. Jeder kann es hören, verflucht. Nichts ist dabei herausgekommen, gar nichts. Ich habe eine Familie geheiratet, in der es einen Ahnherrn gibt, der als Schwarzes Schaf angesehen wird. Wobei es andere nicht einmal geschafft haben, das Schwarze Schaf zu vernichten. Sie haben den Henker getötet, aber er ist nicht tot. Eugen, unser Sohn, kennt ihn besser als wir. Er weiß Bescheid und sicher auch darüber, daß er sich rächen will. Rächen an den Chestertons. Damit habe ich nichts zu tun. Ich bin keine Chesterton.« Sie deutete mit dem ausgestreckten Mittelfinger der rechten Hand heftig auf ihre Brust. »Nein, ich bin es nicht. Ich hatte nur in diese verdammte Familie eingeheiratet, das ist alles!«
Ein Krach zwischen den Eheleuten ist Außenstehenden immer unangenehm. Natürlich erlebten die Chestertons auch weiterhin eine Streßsituation, aber es war nun nicht mehr zu ändern, und Julia sah auch nicht so aus, als wollte sie aufhören. Sie starrte ihrem Mann ins Gesicht, der nicht wußte, was er antworten sollte.
Das tat dann Sarah Goldwyn. »Bitte, Mrs. Chesterton, es ist nicht gut, wenn Sie sich gegenseitig mit Vorwürfen überschütten. In einer solchen Lage sollten Sie beide wirklich zusammenhalten. Es geht nicht nur um ihr Leben, sondern sicherlich auch um das Ihres Sohnes. Daran müssen Sie doch denken.«
Julia Chesterton fuhr herum. Sie sah nicht so aus, als hätten sie die Worte der Lady Sarah besänftigt. Auf mich wirkte sie eher wie eine wütende Kampf maschine auf zwei Beinen.
Ich wollte der Horror-Oma nicht allein die Schlichtung überlassen.
Die Frau mußte wirklich zur Vernunft gebracht werden.
Das schafften weder Lady Sarah noch ich. Plötzlich war jemand anderer da.
Nur ein Schatten.
Er stand hinter der Frau.
Er reckte sich.
Etwas fegte in die Höhe, bekam durch das schwache Licht einen bestimmten Glanz, und als die Beilklinge wieder nach unten raste, da startete ich mit dem Wissen, zu spät zu kommen.
Das Richtbeil traf.
Nicht Julia Chesterton, sondern ihren Mann. Der augenlose Henker aus dem Zwischenreich hatte im letzten Augenblick die Schlagrichtung korrigiert, um den zu treffen, der ebenfalls Chesterton hieß.
Er köpfte ihn, und wir schauten zu!
***
Es war eine furchtbare und kaum zu beschreibende Szene. Plötzlich stand der Mann ohne Kopf da. Er fiel auch nicht, während sein Schädel mit einem dumpfen
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