1015 - Henkeraugen
Davon hörte ich ebenfalls.«
»Ich habe keinen Schatten gesehen. Und wenn Sie sich umschauen, werden auch Sie keinen entdecken. Oder hat sich im Restaurant etwas verändert?«
»Nein, ich glaube nicht.« Er schaute sicherheitshalber noch durch diese vornehme Welt, bevor er die Schultern hob, sich ratlos gab und danach seine Runde machte. Er ging von Tisch zu Tisch, weil er sich persönlich bei seinen Gästen von deren Wohlergehen überzeugen wollte.
Ich rechnete weiterhin damit, daß der Henker noch einmal erscheinen würde. Sein Auftauchen war kein Spaß gewesen. Das hatte mich eher an einen Mordversuch erinnert. Jedenfalls wußte ich jetzt, daß Sarah Goldwyn mir keinen Bären aufgebunden hatte. Den Chestertons wollte ich mich noch nicht zu erkennen geben, ging wieder an meinen Tisch und setzte mich.
»Das ist er gewesen, nicht wahr?« flüsterte Glenda mir zu.
»Was hast du gesehen?«
»Nur diesen Schatten.«
»Und auch das Beil!« korrigierte sie Lady Sarah. »Wir haben es erkannt, und wir haben auch dich gesehen und Angst um dich gehabt, denn das Beil schwebte dicht über deinem Kopf. Hättest du ihm denn entwischen können, John?«
»Normalerweise nicht.«
Sie nickte. »Das dachte ich mir. Wir haben hier auch gesessen wie gelähmt.« Die Horror-Oma schüttelte den Kopf. »Kannst du denn erklären, was da abgelaufen ist?«
»Nicht genau, Sarah. Wir müssen davon ausgehen, daß der Henker verdammt mächtig ist. Trotz seiner Blindheit, aber das spielt in seiner Welt keine Rolle.«
»Seine Welt?« fragte Glenda.
»Ja, natürlich. Er ist aus seiner Welt gekommen. Er muß zwischen dem Diesseits und dem Jenseits seinen Platz haben. Ich weiß, daß es eine verrückte Vorstellung ist, aber wir selbst kommen nun mal nicht daran vorbei. Wir müssen es akzeptieren und glauben, und wir müssen dementsprechend handeln.«
Sarah runzelte die Stirn und warf den Chestertons einen längeren Blick zu, den diese nicht bemerkten. »Aus dem Schneider sind sie noch nicht, denke ich.«
»Das ist wohl richtig.«
»Was willst du tun? Rechnest du mit einem zweiten Angriff auf die beiden?«
»Muß ich dir die Frage beantworten?«
»Also ja«, sagte Sarah.
»Wir müssen ihnen klar machen, daß sie hier nicht länger sein können. Sie müssen das Restaurant verlassen. Wenn sie bleiben, bringen sie auch andere in Gefahr, und das können wir einfach nicht riskieren. Du kennst sie, Sarah. Sprich mit ihnen.«
»Ja, das werde ich. Ich habe mich nur gewundert, daß die Chestertons nicht mit dir gesprochen haben.«
»Möglich, daß sie sich nicht getraut haben.«
Sarah lächelte. »Okay, du hast mich überzeugt. Ich werde zu ihnen gehen und mit Ihnen reden. Wobei ich nur hoffen kann, daß sie sich nicht zu starrköpfig anstellen. Weißt du denn überhaupt, was sie gesehen haben?«
»Nein.«
»Licht«, sagte Glenda, »oder?«
»Neben dem Schatten des Henkers. Mehr haben wir auch nicht sehen können. Das gilt auch für die anderen Gäste«, erklärte die Horror-Oma. »Ihr Verhalten wies jedenfalls nicht darauf hin, daß sie etwas entdeckt haben könnten. Sie hätten sicherlich erst etwas gemerkt, wenn Blut geflossen wäre. Und so weit ist es zum Glück nicht gekommen.« Sie atmete tief durch und streckte ihren Körper, bevor sie aufstand.
Die Chestertons hatten uns beobachtet und auch durch unser Verhalten erkannt, daß wir über sie gesprochen hatten. Als Sarah an ihren Tisch herantrat, kam ein Ober und brachte einen Stuhl, damit sich die Horror-Oma setzen konnte.
Glenda und ich waren allein zurückgeblieben. »Mir ist der Appetit vergangen, John. Ich denke, daß ich auf das Hauptgericht und alles weitere verzichten kann.«
»Ja, ich ebenfalls.«
»Hast du dir Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen könnte, John?«
»Noch nicht. Es steht fest, daß der Henker sie will. Er möchte seine Rache haben. Er wird nicht von seinem Weg abweichen, und er nimmt auch keine Rücksicht auf die Umgebung. Er hätte das Blutbad hier angerichtet, wenn ich ihm nicht mein Kreuz entgegengehalten hätte. Aber er wird es auch weiterhin versuchen. Einer wie er gibt nicht auf. Der schlägt weiter zu. Der wird seinen zukünftigen Opfern immer auf den Fersen bleiben.«
Glenda räusperte sich. »Wenn sie dieses Restaurant verlassen, müßten sie zurück zu ihrem Haus fahren.«
»Klar, das wäre logisch.«
»Und dort wartet jemand.« Sie lächelte knapp. »Nicht nur Jane, sondern auch Eugen, Chesterton junior.«
»Wir ebenfalls.«
»Das
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