1016 - Der Narr aus Venedig
während ihr Schweiß ausbrach. »Es dürfte ihn gar nicht geben, John. Nein, es darf ihn nicht geben.«
»Ich habe ihn gesehen.«
»Trotzdem.«
»Was ist denn mit ihm?«
»Er ist doch tot!« flüsterte sie über den Tisch hinweg. »Serafin, der Narr, ist tot…« Sie schluchzte auf und senkte den Kopf, während sich ihre Hände zu Fäusten verkrampften.
Überraschend war die Antwort für mich nicht erfolgt. Nach den Worten des Narrs hätte ich damit rechnen müssen. Er war also so etwas wie ein lebender Toter, ein Rückkehrer aus dem Jenseits oder jemand, der die Grenze noch nicht richtig überschritten hatte. Angela Morinelli hatte sich mir gegenüber offenbart. Sie rückte allmählich mit Informationen heraus. Dabei sah Angela aus, als fühlte sie sich irgendwie schuldig.
»Sie müssen sprechen«, riet ich ihr.
»Das weiß ich.«
»Vertrauen ist jetzt wichtig. Was immer auch geschehen ist, es soll nicht zu Ihrem Nachteil sein, Angela. Sie sollen immer wissen, daß ich auf Ihrer Seite stehe.«
»Das weiß ich.«
»Deshalb brauche ich Ihre rückhaltlose Offenheit, um selbst handeln zu können.«
Angela Morinelli schwieg. Sie zog die Nase hoch und schaute an meiner linken Schulter vorbei in die Leere des Lokals hinein. Dabei runzelte sie die Stirn, und ihr Mund zuckte einige Male, bevor sie sprach.
»Ich habe es nicht gewollt, John, aber es blieb mir nichts anderes übrig, wirklich.«
»Was genau?«
Angela räusperte sich die Kehle frei. »Kann ich von Anfang an berichten, John?«
»Gern. Es ist mir sogar sehr lieb, wenn Sie das tun, Angela.«
Sie schenkte Rotwein nach. Ich trank nicht. Dafür schaute ich ihrer zitternden Hand zu, aber es schwappten keine Tropfen über, so daß die Decke weiß blieb. Nach zwei Schlucken hatten sich Angela soweit gefangen und gesammelt, um mit ihrem Bericht beginnen zu können.
Ich hörte sehr gespannt zu…
***
»Es ist in Venedig gewesen. Ich hatte mich in die Stadt verliebt. Ich wohnte zwar nicht dort, aber ich bin des öfteren hingefahren. Vor allem dann, wenn weniger Touristen in die Stadt eingefallen waren und das Wetter nicht ideal war. Das war meine Zeit. Da bin ich durch die schmalen Gassen gelaufen und habe mich in den unzähligen kleinen Geschäften umgeschaut, in denen es all die Kleinode und Herrlichkeiten zu kaufen gab, die mich so begeisterten. In einem Geschäft fand ich das Bett, das mich so faszinierte und das hier in meiner Wohnung steht. Dieses herrliche Himmelbett. Ein Traum, ein kleines Wunder, von dem ich schon immer so geschwärmt hatte. Der Verkäufer sah natürlich mein Interesse und nannte einen viel zu hohen Preis. Ich nahm von dem Kauf Abstand, aber ich kehrte am übernächsten Tag zurück, weil mir das Bett nicht aus dem Kopf ging. Noch heute sehe ich die glänzenden Ölaugen des Mannes vor mir, als ich sein Geschäft betrat. Er wußte, daß ich zurückkehren würde, das hatte er mir prophezeit, und ich war auch entschlossen, dieses Bett zu kaufen. Was den Verkäufer oder Besitzer geritten hat, den Preis zu senken, weiß ich nicht. Jedenfalls bekam ich es um einiges billiger und mußte nur für die Transportkosten aufkommen. Für mich war das Geschäft perfekt. Erst als alles unterschrieben war, da zog mich der Mann zur Seite und bot mir einen Schluck Rotwein an. Er sprach davon, daß ich mir Zeit nehmen müßte, zumindest ein wenig, und ich stimmte zu.«
»Das Bett ist etwas Besonders«, erklärte er mir, »und damit meine ich nicht nur den Preis.«
»Sondern?«
»Auch sein Alter.«
»Das weiß ich doch.«
»Es hat einem Dogen gehört.«
»Oh…«
Der Mann lächelte. »Und er hat es schließlich seiner Geliebten zum Geschenk gemacht, ohne allerdings davon zu wissen, daß diese Frau nicht nur den Dogen als Liebhaber empfangen hat, sondern auch zahlreiche andere Männer. Sie war hier in Venedig bekannt. Eine Edelhure, die ein sehr gutes Leben führte und in einem kleinen Palazzo wohnte.«
»Wen suchte sich diese Frau denn aus?«
Der Verkäufer winkte mit einer scharfen Handbewegung ab. »Alle möglichen Männer. Sie achtete dabei nicht auf deren Stand und deren Vermögen oder deren Aussehen. Diese Person war unersättlich. In diesem Bett geschahen die wildesten Dinge. Sie hat mit Edelleuten, mit Frauenfängern, mit Ärzten, Scharlatanen, Magiern und auch mit Menschen aus dem einfachen Volk geschlafen. Sie ist einfach unersättlich gewesen, und sie ist auch in diesem Bett gestorben.«
»Wie denn?«
Nach dieser Frage schwieg der
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