1016 - Der Narr aus Venedig
aus dem Weg, was sie daran hinderte, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Und ich hatte seine Worte behalten, die in diesem Fall so etwas wie ein Credo waren.
Rache für meinen Tod!
Was immer es auch im einzelnen zu bedeuten hatte. Dieser namenlose Narr hatte seinen Tod zugegeben, aber er war nicht damit einverstanden. Möglicherweise existierte da jemand, dem er die Schuld an seinem Ableben gab.
Ich kannte da eine Person und war gespannt, welche Antworten mir Angela Morinelli geben würde.
Noch immer vorsichtig durchquerte ich den Flur und ging die Treppe hinab.
Den Clown mit dem Messer sah ich nicht mehr. Aber das Klingeln der Glöckchen wollte mir nicht mehr aus den Ohren…
***
Es war ruhig unten im Lokal, und ich mußte Angela rufen, um zu wissen, wo sie sich aufhielt. Sie gab mir auch eine Antwort. Ich hörte nur ein Wort. »Hier!« sagte sie. Wie sie es allerdings ausgesprochen hatte, ließ nicht eben auf einen besonders guten Zustand schließen. Es hatte ziemlich gepreßt geklungen.
Im Lokal saß sie in der hintersten Ecke, dort, wo die Tür zu den Toiletten führte. Um hier die Speisekarte lesen zu können, mußte auch bei Tageslicht die Lampe brennen.
Obwohl Angela mich gesehen oder gehört haben mußte, schaute sie nicht hoch. Ich sprach sie auch nicht mehr an, sondern setzte mich auf den zweiten freien Stuhl.
Vor Angela stand eine Flasche mit Rotwein. Ein entsprechendes Glas war fast leergetrunken. Beides schob ich zur Seite, um sie besser sehen zu können.
Angela Morinelli hielt den Kopf gesenkt und stützte ihn mit ihren Handballen ab. Das blonde Haar war ihr ins Gesicht gefallen, und ich konnte mir denken, daß sie die Augen geschlossen hielt.
Sie weinte leise. Manchmal zog sie die Nase hoch. Ich fragte mich, aus welchem Grund sie diese Haltung angenommen hatte und konnte eigentlich davon ausgehen, daß ihr der Narr ebenfalls begegnet war und sie in diesen Zustand versetzt hatte.
»Angela«, sprach ich sie mit leiser Stimme an. »Es hat keinen Sinn, wenn Sie hier sitzen und sich in trüben Gedanken verlieren. Sie müssen sich den Tatsachen stellen - bitte.«
Angela schüttelte den Kopf, ohne ihre Haltung zu verändern.
Ich verdrehte die Augen. »Hören Sie. Was ich brauche, ist Vertrauen. Ihr Vertrauen. Nur so können wir den Fall lösen.«
»Ich weiß.«
»Wunderbar, das ist schon ein Anfang.«
Sie zog die Nase hoch. Dabei ging ein Ruck durch ihre Gestalt. Dann hob sie mit einer mühsamen Bewegung den Kopf, um mich ansehen zu können. Die Augen und deren Umgebung waren vom Weinen angeschwollen, und sie reagierte typisch weiblich. »Ich muß einfach schrecklich aussehen, John.«
»Nein, überhaupt nicht. Wie ein Mensch. Wir alle sind Menschen und reagieren menschlich.«
Angela Morinelli zog ihre Nase hoch und wischte die Augen frei. »Menschlich? Ich weiß nicht. Was ich hier erlebt habe, das verdient diesen Namen einfach nicht.«
Ich wollte nicht länger philosophieren und sagte zu ihr: »Ich war oben, Angela.«
»Ja, das weiß ich.«
»Die Wohnung ist ja leer, wie Sie schon sagten, aber ich habe dort trotzdem etwas gehört. Zuerst wollte ich es nicht glauben, aber es blieb, verstehen Sie? Eine Musik, ein Geräusch. Ein Schellen oder Klingeln. Glockenhell. Eigentlich wunderschön, aber freuen konnte ich mich nicht darüber. Es paßte nicht in die leeren Zimmer.«
»Ich kenne das Klingeln!« entfuhr es Angela. »Auch ich habe es schon gehört.«
»Waren Sie denn oben?«
»Nein, hier unten. In diesem Bereich. Im Restaurant und auch in der Küche. Es ist öfter aufgeklungen, und es hat mich irgendwie immer verfolgt. Spaß hat das nicht gemacht, das können Sie mir glauben. Ich habe es stets gehört.«
»Und was haben Sie gesehen?« fragte ich leise. »Konnten Sie überhaupt etwas sehen?« Bewußt hatte ich bisher nicht von der Entdeckung des Narren gesprochen.
»Nein.«
»Sie haben nur das Geräusch gehört?«
»Ja. Nur dieses Klingeln oder Schellen, und es hat mir Furcht eingejagt.«
Ich nickte ihr zu. »Das kann ich mir denken. Es ist zumindest unerklärlich und auch unwahrscheinlich. Haben Sie denn darüber nachgedacht, was diese seltsame Musik bedeuten könnte?«
Angela gab mir zunächst keine Antwort. Sie hob nur die Schultern. Ich sah, daß sie nachdachte, aber sie traute sich nicht, mich anzusprechen. Mit gefurchter Stirn und leerem Blick starrt sie auf die Tischplatte. »Das ist nicht ganz einfach«, flüsterte sie nach einer Weile und zog dabei die Nase hoch. »Es gibt
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