1016 - Der Narr aus Venedig
Decke hinweg und auch über den Stoff des hohen Kopfkissens. Er genoß seinen Auftritt, und er ließ seine Zunge aus dem breiten Mundspalt gleiten, als er sich schnell die breiten Lippen leckte. Für Angela Morinelli war es eine widerliche Vorstellung, wenn sie daran dachte, daß sie die Hände mit den langen und mit dunklen Haaren bewachsenen Fingern überall berühren würden. Sie konnte Carlotta verstehen, die damals nicht hatte mit Serafin schlafen wollen. Aber Carlotta hatte die Weigerung mit dem Leben bezahlen müssen, und Angela wollte auf keinen Fall sterben.
Nur war der Narr auch gestorben. Die Wächter hatten ihn umgebracht. Warum stand er jetzt hier an ihrem Bett, wenn er doch gestorben war?
Damit kam die Frau nicht zurecht. Es war ihr alles suspekt. Sie hatte keine Chance, dem Grauen zu entwischen. Sie konnte nicht einmal weinen, blieb liegen, starrte auf das Gesicht dieser schrecklichen Gestalt und auch auf die über ihren Brüsten schwebende Hand, deren leicht gekrümmte Finger sich zuckend bewegten.
»Nein, nicht…«
Waren es Worte oder nur Gedanken? Genau konnte sie das selbst nicht sagen, aber die verdammte Hand blieb, und in der anderen hielt der Narr die Klinge.
Schon einmal hatte er schrecklich damit gewütet. Es würde ihm nichts ausmachen, auch einen zweiten Mord zu begehen, wobei er sicher war, daß auch dieser nicht gesühnt wurde.
Die Hand mit dem Messer schwebte ebenfalls auf sie zu. Und wieder sprach Serafin. »So schön bist du. Ein Wunder der Natur. Du bist die Schönheit, ich die Häßlichkeit. Aber beides zieht sich an. Auch der Häßliche will an das Schöne, und ich habe mich für dich entschieden. In diesem Bett liegen nur schöne Frauen. Sie haben mir alle gefallen, auch du gefällst mir, und deshalb werde ich…«
»Nein!« schrie Angela. »Nein!«
Sie hatte wirklich laut gesprochen, und für einen Moment war der Narr irritiert. Er sah sogar aus, als wollte er in die Höhe zucken. Sehr schnell allerdings fing er sich wieder, riß seinen breiten Mund auf und fing an zu lachen.
Ein widerliches und ekelhaftes Gelächter. Hoch, schrill und böse zugleich.
Abrupt brach es ab.
»Du willst nicht?« kreischte er. »Hast du wirklich gesagt, daß du nicht willst?« Diesmal drang ein Knurren aus seinem breiten Mund. »Nein, das gibt es bei mir nicht. Bei mir hat man zu wollen. Ich bekomme alles. Wenn du dich mir nicht freiwillig hingibst, nehme ich dich mit Gewalt. Ja, mit Gewalt!«
Er griff zu. Dabei sackte seine freie Hand in die Tiefe und legte sich auf Angelas Brust.
Zum erstenmal erlebte sie die Berührung. Es widerte sie nicht einmal an, daß die Hand auf ihrer Brust lag, es war einfach die Tatsache der Berührung. Diese Hand sah zwar aus wie eine menschliche, war im Prinzip jedoch keine. Denn sie fühlte sich kalt, hart und hölzern an.
Ja, wie rauhes Holz!
Die blonde Frau hielt den Atem an. Der Narr hatte seinen Kopf noch tiefer gesenkt, so daß Angela von unten her in sein breites Gesicht schauen konnte.
Die Zipfel mit den daran hängenden kleinen Glocken waren nach vorn gefallen. Durch die leichten Bewegungen schlugen die Klöppel gegen das Metall und brachten es zum Klingeln.
Angela haßte dieses Geräusch. Es lenkte sie ab. So fiel es ihr schwer, sich auf das Eigentliche zu konzentrieren. Sie wollte sich auf keinen Fall vergewaltigen lassen. Diese Gestalt, die eigentlich längst hätte tot sein müssen, in sich zu spüren, war eine Vorstellung, vor der Angela grauste.
Die Hand berührte sie noch immer. Hart, kratzig, wie ein Stück Holz. Gier in den Augen. Ein Körper, der sich von der Seite her auf das Bett drängte. Aus dem offenen breiten Mund wehten ihr schreckliche Laute entgegen.
Er wollte sie.
Und er packte zu.
Seine frei Hand wanderte blitzschnell weiter. Sie umklammerte Angelas Kehle. Es war ein mörderischer Griff, der ihr die Luft abschnürte, sie aber gleichzeitig aus ihrer Lethargie hervorriß. Plötzlich war sie wieder voll da. Der Vorhang der Bewegungslosigkeit war verschwunden. Sie bekam wieder Luft, sie sah alles überdeutlich, und sie wußte jetzt auch, daß sie keinen Alptraum erlebte. Alles, was sie sah, entsprach der Realität.
Der bucklige Narr kniete bereits auf ihrem Bett. Um sie ganz haben zu können, mußte er sie noch von ihrem Nachthemd befreien, und er würde es bestimmt in Fetzen reißen.
Er war etwas abgelenkt. Schaute dorthin, wo erden Stoff anfassen wollte. Dieser Kerl war kein Alptraum, er war zu einer schrecklichen
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