1016 - Der Narr aus Venedig
ihn vertreiben können, obwohl es recht knapp gewesen ist.«
»Das alles verstehe ich nicht«, flüsterte Angela. »Wenn er Sie töten wollte, wie haben Sie ihn dann vertreiben können?«
Ich lächelte ihr zu. »Es gibt gewisse Geheimnisse, die ich gern für mich behalten möchte.«
»Das befriedigt nicht meine Neugierde.«
»Das ist auch nicht schlimm. Jedenfalls habe ich ihm, so erscheint es mir, eine Abfuhr erteilt. Es tut mir nur leid, daß ich ihn nicht endgültig erwischt habe.«
»Kann man das denn überhaupt?« flüsterte sie mir zu.
Ich nickte. »Möglich ist das schon. Leider ist er gewarnt und wird beim nächstenmal vorsichtiger sein.«
»Und was können wir machen?«
»Gegenfrage. Was wollten Sie hier oben?«
»Mich umziehen. Für den Abend. Ich wollte noch duschen, aber Sie kennen das sicherlich. Meine Mitarbeiter sind da und kümmern sich um das Restaurant. Sie decken ein. Auch der Koch kümmert sich bereits um die Vorbereitung der Speisen.«
»Hört sich ja alles gut an«, sagte ich.
»Ha, wenn es das mal wäre.« Sie schüttelte den Kopf und ging wieder auf die Tür zu.
Ich holte sie noch ein. Als Angela meine Hände an ihren Schultern spürte, lehnte sie sich zurück und benutzte mich als ihre Stütze. Ich nahm wahr, wie sie die Augen schloß. »Gehen Sie bitte nicht weg, John, bleiben Sie einfach so stehen. Ich brauche jemand, an den ich mich anlehnen kann. Es ist schlimm, wenn man allein ist, das ist mir in der letzten Zeit erst richtig bewußt geworden. Würde ich mit einem Partner zusammenleben, hätte ich dem Druck wohl besser widerstehen können, so aber weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht. Hinzu kommt noch die verdammte Angst.«
»Das ist verständlich, Angela.«
»Soll ich aufgeben, John? Seien Sie ehrlich!«
»Nein, Sie müssen bleiben.«
»Denken Sie, daß der Spuk mich auch woandershin verfolgen wird?«
»Das glaube ich fest. Sie haben dieses Wesen zum zweitenmal getötet, obwohl das Unsinn ist. Aber Serafin sieht es so. Daran können wir nichts ändern, tut mir leid. Sie und ich, wir werden hier ausharren und auf ihn warten. Er gibt nicht auf, auch wenn er hier im Zimmer eine Teilniederlage erlitten hat. Ich kenne meine Gegner. Sie machen bis zum Schluß durch.«
»Ihre Worte tun mir gut, John, denn sie hören sich so sicher an. Es gibt auch mir Mut.«
»Nichts anderes habe ich damit bezweckt, Angela. Wenn alles vorbei ist, feiern wir. Ist das ein Wort?«
»Ja, das ist es.« Sie ging vor und öffnete die Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. »Wenn alles vorbei ist, John, aber ich kann ihren Optimismus noch nicht teilen.«
»Abwarten.«
»Ich mache mich dann fertig.«
»Tun Sie das.«
»Ach so - ja. Dürfte ich Sie bitten, so lange hier oben zu bleiben? Da fühle ich mich sicherer.«
»Keine Sorge, Angela, ich hätte Sie schon nicht allein gelassen. Verlassen Sie sich darauf.«
»Danke.«
Mein Optimismus war zwar vorhanden, aber auch ein wenig gespielt gewesen. Hundertprozentig sicher konnte ich mir nicht sein, denn die Fälle endeten nicht immer mit einem Happy-End. Oft genug hatte ich das Nachsehen gehabt und war daran fast verzweifelt. Meine Feinde von der anderen Seite hatten ebenfalls dazugelernt. Sie waren raffinierter und noch extremer geworden.
Angela Morinelli war im Bad verschwunden. Ich hatte Zeit und setzte mich wieder aufs Bett. Über mein Handy telefonierte ich mit den Conollys.
Bill, der abgehoben hatte, zeigte sich ziemlich sauer. »Verdammt, warum rufst du denn erst jetzt an? Sheila und ich haben uns Sorgen gemacht, wollten schon kommen. Ist alles in Ordnung?«
»Inzwischen ja.«
»Was… was heißt das denn?«
»Reg dich nicht auf, denn ich wollte dir gerade einen Bericht geben. Fest steht, daß Angela sich die Bedrohung nicht eingebildet hat. Es gibt einen Killer, der sich Serafin nennt und als venezianischer Narr auftritt.«
Danach erfuhr der Reporter, was mir passiert war, und Bill wurde ziemlich still. »Das ist ein hartes Stück«, flüsterte er zum Schluß. »Da hast du Glück gehabt.«
»Sogar mehr als das. Egal, was auch passiert ist, Bill, ich möchte, daß alles so weiterläuft. Jeder Tisch heute abend ist ausgebucht, das soll auch so bleiben.«
»Meinst du?«
»Warum nicht?«
»Rechnest du nicht damit, daß er zurückkehrt, um Rache zu nehmen?«
»Ja, damit muß man rechnen. Wenn wir aber hier dichtmachen, wird er am nächsten oder übernächsten Tag erscheinen. Selbst wenn Angela den Laden dichtmacht, wird er ihr
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