1018 - Die Betschiden und der Jäger
erschrak und vergaß einen Augenblick lang die gebotene Vorsicht: er rief ihren Namen.
Es prasselte im Gestrüpp. Der graue, langgestreckte Leib eines mächtigen Tieres schoß aus dem Unterholz hervor. Brether sah sechs Beine und einen bulligen Schädel mit kräftigem Gebiß. Das Tier jagte den Pfad entlang. Kurz bevor Brether es aus den Augen verlor, stieß es ein wildes Geheul aus.
Brether stand eine Sekunde lang starr vor Schreck, dann nahm er die Suche wieder auf.
Von irgendwoher hörte er plötzlich Scouties Stimme: „Paß auf, wo du hintrittst. Die Gegend ist gefährlich."
Die Worte schienen aus der Tiefe zu kommen. Brether blickte den Pfad entlang. Da sah er das Loch im Boden.
*
„Eine Falle", staunte er und blickte in die Finsternis hinab.
Das Loch war über zwei Meter tief und maß drei Meter im Quadrat. Scoutie hockte auf dem Boden und hielt sich das rechte Bein. Die Maske hatte sie abgenommen.
„Hilf mir hinauf", sagte sie. „Ich glaube, ich habe mir den Knöchel verstaucht."
Der Rand des Loches war sorgfältig mit großen Blättern und aufgeschüttetem Erdreich abgedeckt. Brether manövrierte sich vorsichtig in eine Position, in der er niederknien und Scoutie die Hand reichen konnte. Er zog das Mädchen herauf.
„Möchte wissen, welcher Narr die Falle mitten auf dem Weg angelegt hat", schimpfte sie.
Brether erzählte ihr von dem grauen Tier, das er gesehen hatte. Dabei untersuchte er Scouties Fuß. Er war gebrochen. „Verdammt", knirschte Scoutie. „Das hat uns noch gefehlt."
Brether schnitzte ein Aststück zurecht und benützte ein Tuch, um den Bruch zu schienen. Er war noch mit dem Verbinden beschäftigt, als er das summende Geräusch eines Triebwerks hörte.
„Maske auf!" zischte er.
Scoutie zog sich das schlaffe Gebilde aus Organoplastik über den Kopf. Brether blickte den Pfad entlang. Ein altertümlicher Gleiter schob sich durch das Gestrüpp und kam den Pfad entlang. Innerhalb des gläsernen Aufbaus sah Brether den silbrig schimmernden Schuppenpanzer eines Tarts. Besorgt musterte er Scoutie. Die Maske begann eben erst, sich zu formen. Er faßte das Mädchen bei den Schultern und drehte es herum. „Leg dich hin", sagte er. „Gesicht nach unten."
Der Gleiter kam heran und hielt wenige Schritte entfernt. Brether war aufgestanden und ging dem Fahrzeug entgegen. Je länger er den Tart davon abhalten konnte, einen Blick auf Scoutie zu werfen, desto besser. Ein Luk klappte auf. Schwerfällig kletterte das Echsenwesen heraus.
„Sprichst du Krandhorjan?" fragte es.
Brether machte die Geste der Bejahung.
„Das ist gut", sagte der Tart. „Mit euren Blinkzeichen kenne ich mich nicht aus. Ich heiße Versellu. Ich habe diese Falle gebaut, um ein gefährliches Tier zu fangen, das meine Ernte schädigt. Ich sehe, einer von euch beiden hat sich verletzt. Das tut mir leid. Ich will euch helfen."
„Dank", schnarrte Brether. „Mein Freund, Schon-Gestern, Fuß gebrochen. Du hast Medizin?"
Der Tart musterte Scouties reglose Gestalt mit aufmerksamem Blick.
„Medizin?" wiederholte er. „Man wird einen Mediker holen müssen."
Es entging Brether nicht, daß Versellu ihn dabei aufmerksam ansah. Er machte ein Zeichen des Unwillens. „Mediker nicht gut", sagte er. „Kein Mediker auf Keryan versteht Ai-Mutanten."
„Da hast du recht", bekräftigte der Tart. Fast schien es Brether, als wäre er erleichtert.
„Du und dein Freund, ihr könnt auf meiner Farm bleiben, bis sein Fuß geheilt ist. Wie heißt du?"
„Breiter-Pfad", schnarrte Brether.
„Also gut, Breiter-Pfad", sagte Versellu, „du kannst mir helfen, deinen Freund aufladen.
Nimm ihn bei den Füßen, du kennst dich da besser aus."
Scouties Maske hatte sich inzwischen stabilisiert. Sie hatte die Augenstiele eingezogen und die Pupillen geschlossen. Brether und der Tart luden sie behutsam auf den Gleiter.
Versellu setzte sich ans Steuer und dirigierte das Fahrzeug den Pfad hinab.
*
Nach wenigen Minuten kamen sie auf eine kreisförmige Lichtung von dreihundert Metern Durchmesser. Verkohlte Pflanzenreste deuteten an, wie die Vegetation beseitigt worden war. Schmale Furchen zogen sich quer über die Rodung, und aus den Furchen sproß junges Grün.
Am südlichen Rand der Lichtung erhob sich ein halbkugeliges Gebäude. Es war aus Ästen und Plastikmaterial ziemlich roh gefertigt. Versellus Augen glitzerten, als er sagte: „Kein Palast, aber es bietet mir Unterkunft. Ich bin erst seit kurzem auf Keryan. Wenn
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