1022 - Der Lockvogel
und schob mich dann unter den Wagen. Es war nicht sehr leicht, aber auch nicht besonders schwer wie bei einem normalen Pkw. Der Geländewagen stand schließlich auf höheren Rädern.
Viel Platz zwischen mir und dem Unterboden des Range Rovers gab es nicht. Meine Bewegungsfreiheit war eingeschränkt. Nur würde ich hier nicht so bald entdeckt werden, wenn Jane Collins richtig reagierte. Davon ging ich einfach aus.
Nicht nur meine Umgebung hatte sich verändert, es war auch etwas in ihr geschehen. Das lag an der Luft, die ihre Klarheit verloren hatte. Ein anderer Geruch durchwehte sie. Er war zwar nicht unbedingt stark, aber schon zu riechen. Ich war davon überzeugt, daß irgendwo in meiner Nähe etwas verbrannt wurde und dieser Gestank sehr verdünnt meine Nase erreichte. Wenn mich nicht alles täuschte, drang er aus dem Haus hervor und hatte seinen Weg durch die nicht geschlossene Tür gefunden.
Feuer im Haus?
Den Widerschein irgendwelcher Flammen hatte ich nicht gesehen.
Das war nicht unbedingt wichtig. Es konnte auch sein, daß jemand ein Feuer versteckt angefacht hatte.
Zwar machte ich mir darüber Gedanken, vernachlässigte meine eigentliche Aufgabe jedoch nicht. Ich mußte versuchen, die Fesseln so rasch wie möglich loszuwerden und konnte auch nicht auf dem Rücken liegen. Ich lag auf der rechten Seite, um unter dem Range Rover weg und in Richtung Hauseingang zu schauen.
Dort tat sich noch nichts. Über mir verhielt sich Jane Collins ebenfalls still. Ich ging allerdings davon aus, daß sie sich mit den gleichen Dingen beschäftigte wie ich.
Ich arbeitete verbissen. Zerrte. Riß. Drehte die Hände, um die Knoten zu lockern und um etwas Spielraum zu bekommen. Das war beinahe wie in einem Film, nur fühlte ich mich in diesem Fall keineswegs als großer Held, denn das Drehbuch schrieb das Leben und lag nicht als offener Schrieb vor mir.
Besonders dünn waren die Stricke nicht. Sie schnitten trotzdem in meine Haut. Dort schabten sie entlang, und an den Gelenken spürte ich ein Brennen. Aber ich machte weiter, immer in der Hoffnung, Lücken zu schaffen oder daß der eine oder andere Faden riß, sich vielleicht auch so dehnte, daß ich mehr Spielraum bekam und zumindest schon eine Hand aus der Schlinge ziehen konnte.
Die Fesselung lockerte sich bereits. Ich hatte mehr Platz bekommen. Manchmal erwischten mich die Rucke intervallartig. Da wurden auch die Lücken größer.
Die Anstrengungen trieben mir den Schweiß aus den Poren. Ich hörte mich selbst keuchen und vernachlässigte dabei meine zweite Aufgabe. Die Kontrolle der Tür.
Zum Glück warnte mich das Geräusch. Sie war weiter aufgezogen worden. Das Knarren oder Knarzen wirkte wie ein Signal auf mich.
Sofort stellte ich meine Bemühungen ein.
Meine Haltung hatte sich nicht verändert. Von der rechten Seite her beobachtete ich den Eingangsbereich. Dort hatte sich etwas getan, und es tat sich noch mehr, denn dort erschien eine dunkle Gestalt, begleitet von einem hellen Lichtpunkt.
Es war Kathrin Dill. Jetzt allerdings mit einer Taschenlampe ausgerüstet. Sie blieb für einen Moment am Türeingang stehen. Ich fragte mich, was sie so lange im Haus getan hatte. Sicherlich kein Feuer angezündet. Sie hatte anscheinend etwas gesucht, sonst hätte sie die Lampe nicht eingeschaltet.
Etwas unschlüssig blieb sie stehen. Die Uniformmütze hatte sie nicht wieder aufgesetzt. Das blonde Haar war auch nicht mehr hochgesteckt. Halblang fiel es an den Seiten des Kopfes nach unten.
Hatte sie etwas bemerkt? Wußte sie bereits, daß sich Jane Collins allein im Wagen befand? Eigentlich nicht. Warum aber, so fragte ich mich, kam sie dann nicht näher?
Sie bewegte ihren Kopf, schaute nach rechts und links, strich nachdenklich über ihre Stirn und schaltete dann die Lampe aus, die sie an ihrem Gürtel befestigte. Sie tastete noch ihre gefüllten Seitentaschen ab, die sich ausgebeult hatten.
Mir kam der Gedanke, daß sie dort ihre beiden Beute-Berettas versteckt hielt. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß sie uns ungeschoren davonkommen lassen würde. Wir waren einfach die perfekten Zeugen. Was immer sie auch zu verbergen hatte, es konnte auch das Motiv für einen Doppelmord werden.
Sie blickte zum Wagen. Das Gesicht hob sich dabei wie ein heller Fleck aus der Dunkelheit ab. Damit hatte sich Kathrin Dill auch einen Ruck gegeben, denn vor dem Haus hielt sie nichts mehr.
In den folgenden Sekunden würde sich vieles entscheiden. Hoffentlich nicht unser Schicksal. Wenn
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