1026 - Blutige Vergangenheit
nicht mehr sehen. Es wäre zu deprimierend gewesen. Besonders in meinem jetzigen Zustand. Wichtig war, daß ich wieder auf die Beine kam und meine Schwäche überwand.
Die Trauer würde noch weiter in mir bleiben, das wußte ich genau. Ich würde später versuchen, damit fertig zu werden. Nun aber wurde sie von einem anderen Gefühl verdrängt.
Zorn! Nein, mehr als das. Beinahe schon Haß!
Haß und Zorn auf einen Mann mit dem Namen Sinclair. Auf einen Teufel in Menschengestalt, einem arroganten und menschenverachtenden Günstling der Hölle, der selbst Sinclair hieß, aber all diejenigen, die den Namen ebenfalls trugen, vernichten wollte.
Warum, wieso, weshalb?
Nichts im Leben passiert ohne Motiv, und auch bei diesem Sinclair würde das so sein. Aber wo mußte ich graben, um das Motiv für seinen unbeschreiblichen Haß zu finden? Oder hatte er nicht selbst einen Hinweis gegeben, als er von seinem Castle gesprochen hatte?
Die Ruinen von Sinclair Castle. Waren sie die Lösung? Verbarg sich dahinter das Motiv? Mußte ich dabei weit zurück in die Vergangenheit? Es konnte sein. Sicher war ich mir nicht. Es bedurfte noch einer großen Recherche, um hinter all die Einzelheiten zu gelangen.
Ich schrak zusammen und fluchte leise, weil eine brennende Flüssigkeit in meine Wunde geträufelt wurde.
»Keine Panik, John. Sie wird gereinigt und desinfiziert.«
»Wie nett.«
Suko lachte leise. »Wenn alles vorbei ist, fühlst du dich wie ein King. Du darfst dich sogar ausruhen, während wir fahren. Karen will mich hin und wieder ablösen. Das packen wir.«
Wir sprachen miteinander, während er mich verarztete. Das Zeug brannte ziemlich stark. So manches Mal mußte ich die Zähne zusammenbeißen, schließlich war es geschafft. Zur Krönung des Ganzen klebte mir Suko noch ein Pflaster auf die Stirn.
»Das muß reichen«, sagte er.
»Okay, danke. Dann hilf mir mal aus dem Wagen.«
»Wo willst du hin?«
»Mich nur umschauen.«
Suko faßte mich unter. Er wollte mich wie ein Baby auf die Füße stellen. Dagegen hatte ich etwas, denn ich nahm das Wagendach als Stütze, was auch gut war, denn mein Kreislauf war ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden.
Ich atmete tief durch. Schloß die Augen, öffnete sie wieder und versuchte die ersten Schritte.
Es klappte leidlich, auch wenn ich noch weiche Knie hatte. Der Schweiß brach mir aus den Poren. Die Umgebung schwankte mal, aber sie richtete sich auch wieder.
Ich wußte ja, daß wir fahren mußten. Einen letzten Blick wollte ich trotzdem auf das Haus werfen.
Nein, das war kein Haus mehr. Ich sah es nur noch als eine von Rauch umkränzte Fackel, denn die Brände waren noch nicht gelöscht worden. In meinen Augen brannte es. Es lag nicht allein am Rauch, der auch in unsere Richtung getrieben wurde. Es waren auch die Gefühle, die in mir hochstiegen und mir zu schaffen machten, denn dort verglühten die letzten Erinnerungen.
Ich drehte mich wieder um. Karen Sinclair und Suko standen vor mir. Ihre Gesichter waren sehr ernst. Sie wußten, was in mir vorging. Ich sagte nur: »Es ist wohl besser, wenn wir jetzt fahren.«
»Gut, wie du meinst.«
Suko wollte mir helfen, in den Wagen zu klettern. Das schaffte ich allein. Ich war froh, mich hinlegen zu können, auch wenn der Fond nicht eben der bequemste Platz war.
»Ich werde fahren«, hörte ich Suko noch sagen. »Du kannst mich dann später ablösen.«
»Mach ich.«
Karens Antwort war für mich kaum zu verstehen. Wie von selbst fielen mir die Augen zu, als hätte jemand Gewichte auf die Lider gedrückt. Die Welt um mich herum verschwamm, der tiefe See des Schlafs saugte mich auf wie ein großer Schwamm.
Sinclair, das brennende Haus – es war alles nicht mehr existent.
Zumindest nicht für eine gewisse Zeit. Aber es würde wiederkehren, denn der Kampf gegen diesen Teufel ging weiter…
***
Durst quälte mich. Die Kehle war trocken wie ein wasserloses, verstaubtes Flußbett. Die Wunde tuckerte. Der Körper tat mir auch weh, denn ich hatte verdammt krumm gelegen. Es war mir nicht möglich gewesen, die Beine auszustrecken.
Ich öffnete mühsam die Augen, zwinkerte, und schloß sie wieder, weil mich helles Sonnenlicht im Gesicht traf und mich blendete. Die Nacht war vorbei, der Tag längst angebrochen, und am Himmel stand sogar eine Sommersonne.
Wir fuhren nicht mehr. Der Wagen stand. Kühle Luft wehte mir ins Gesicht. Ich hörte des Plätschern von Wasser und richtete mich langsam auf.
Das Tuckern im Kopf verstärkte
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