1029 - Evitas Folterkammer
entsprechenden Fragen hin nicht einmal das Gesicht verzogen. Und so war der Gefangene immer wieder allein mit seiner Schwäche und den quälenden Gedanken geblieben.
Eine schlimme Zeit. Aber auch eine Zeit der Prüfung, die ihm der Allmächtige auferlegt hatte. Und als solche nahm Bruder Victor sie auch hin.
Er hatte oft gebetet. Noch öfter als normal. Aber er hatte seine Gebete kaum ausgesprochen, weil ihn das Sprechen anstrengte. Er hatte im Stillen gebetet und trotz seiner schlechten Lage das Vertrauen in Gott behalten.
Die Luft in dieser Folterkammer war alt und verbraucht. Sie roch nach Staub und irgendwie auch nach all dem Leid der hier gequälten Menschen. Sie konnte nicht ausgetauscht werden, denn ein Fenster hatte Victor nicht gesehen.
Ein Verließ war wie ein Sarg, nur größer.
Auch Tiere gab es hier unten. Damit meinte Victor nicht die Käfer oder Kellerasseln, für die ein feuchter Raum so etwas wie ein Paradies war, nein, er hatte oft genug das huschende Tappen der kleinen Füße gehört. Wahrscheinlich stammte es von irgendwelchen Ratten oder Mäusen. Sollten Ratten dabeigewesen sein, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann sie seine Schwäche erkennen und ihn aufgrund ihrer irrwitzigen Freßlust angriffen.
Victor machte sich selbst Mut. Ich atme, dachte er, und das ist wichtig. Und ich besitze meine Seele, denn die kann mir keiner nehmen. Er vertraute auf den Schutz des Allmächtigen, der seine Ebenbilder nie im Stich ließ, auch wenn es manchmal den Anschein hatte.
Wer auf Gott vertraut, für den gibt es immer einen Ausweg.
Der Mönch hatte sich zudem angewöhnt, nur noch flach zu atmen.
Die Luft war einfach zu schlecht. Wenn er sie tief in seine Lungenflügel saugte, überkam ihn der Eindruck, eine üble Brühe zu trinken. Schon einige Male war ihm schlecht geworden.
Sein Gehör hatte nicht gelitten. Das Sehen war ihm durch die Dunkelheit genommen worden, nicht aber das Hören. Es war sogar geschärft worden, als wollte es den zeitweiligen Verlust des Augenlichts ausgleichen.
Er hörte etwas.
Das Schleifen und Rascheln. Die hektischen Bewegungen der kleinen Füße.
Ratten?
Ja, es waren Ratten. Mäuse liefen anders. Zwar auch schnell, doch nicht so schwerfällig. Die mittlerweile längst schmutzig gewordene, braune Kutte hing fast bis zu den Knöcheln herab. Über die Füße hatte der Mönch Wollstrümpfe gestreift und war dann in die klobig wirkenden, aber doch bequemen Schuhe gestiegen.
Eine Ratte war plötzlich da. Sie prallte gegen seinen rechten Fuß.
Scharfe Nagezähne zupften am Kuttenrand, als wollten sie schon den Stoff anfressen, um später an das Fleisch zu gelangen.
Der Mönch bewegte sein rechtes Bein. Er trat die Ratte nicht weg, das schaffte er leider nicht, aber das Tier mochte die Bewegung nicht und floh.
Bestimmt nicht weit, davon ging der Gefangene aus, denn Ratten sind äußerst zäh und ausdauernd. Sie würde zurückkehren und vielleicht einige ihrer Artgenossen mitbringen.
Da es in den folgenden Minuten nicht passierte, vergaß Bruder Victor seine Befürchtungen und konzentrierte sich wieder auf sich selbst, was ihm allerdings auch nicht gut bekam.
Er glaubte plötzlich, von seinem Gefühl verlassen worden zu sein.
Zumindest vom Gefühl der Zeit her. Seiner Berechnung nach wäre ein erneuter Besuch dieser Evita fällig gewesen, aber sie hatte sich in der letzten Zeit nicht blicken lassen, und das machte ihn stutzig.
Wollte sie ihr Versprechen auf eine gewisse Art und Weise in die Tat umsetzen, wie sie schlimmer nicht sein konnte?
Verdursten und verhungern lassen. Tod und Folter der Evita? Es war möglich, alles konnte passieren, aber der Mönch wollte daran nicht so recht glauben. Man hatte ihn nicht eingesperrt, um ihn verhungern zu lassen. Das war für eine gut ausgetüftelte Rache einfach zu spärlich und profan. Da mußte mehr dahinterstecken, davon ging er einfach aus. Er war zu einem Teil eines Plans geworden.
Auch die Neugierde und das Nichtwissen folterten ihn. Er wußte nicht, was ablief. Er steckte inmitten einer Hölle, ohne das Feuer erkennen zu können.
Die Hände waren vor seinem Körper gefesselt worden. Eisenringe umklammerten die Gelenke. Beide Ringe waren durch eine kleine Kette verbunden, und eine lange Kette reichte bis hin zur Steinwand des Verlieses, wobei sie noch einmal um einen Pfahl geschlungen war, dessen Widerstand Bruder Victor in seinem Rücken spürte. Er empfand diesen Pfahl nicht als zusätzliche Folter, sondern stufte
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