1036 - Die Psychonauten-Hexe
Seine Farbe war nicht zu übersehen.
Zahlreiche, an den Wänden hängende Spiegel verdoppelten die Szenerie noch. Es gab hier wirklich ein mehrfaches Durcheinander, in dem Tessa den ruhigeren Pol bildete.
Nicht richtig ruhig. Eher unter einem Zwang stehend, denn die Angst aus ihren Augen war nicht gewichen. Aber das dritte Auge war von der Stirn verschwunden.
»Und?« fragte sie, als wir stehen blieben. Sie machte den Eindruck, als hätte sie uns erwartet.
»Wir müssen reden!« sagte ich.
»Ja, ich weiß.«
»Woher?«
»Ich habe es gespürt.«
»Sehr gut. Und daß Sie es spüren konnten, hat sicherlich an Ihrer Besonderheit gelegen.«
»Kann sein.«
»Sind Sie eine Psychonautin?« fragte ich Tessa jetzt direkt und war gespannt auf ihre Antwort.
Sie hätte eigentlich ja sagen müssen, aber ihre Lippen schlossen sich. Nur die normalen Augen weiteten sich, als sie von unten her zu uns hochschaute.
»Was ist das?«
»Sie haben das dritte Auge.«
Tessa senkte den Blick. »Ja, so etwas stimmt. Da ist auf meiner Stirn ein Gegenstand, den ich nicht beeinflussen kann. Er erscheint und verschwindet, wann er es will. Ich bin leider nicht in der Lage, dies zu lenken und kann mir auch nicht erklären, wieso und weshalb das geschehen ist.«
»Darüber sollten wir sprechen.«
Sie hob die Schultern. »Das haben schon andere versucht. Auch Roy.«
»Wer ist das?«
»Roy Ralston ist der Designer«, erklärte Sheila.
»Ja, stimmt, ich erinnere mich.«
»Er war sauer«, sagte Tessa, »daß mir so etwas passierte. Er wollte mich schon rausschmeißen und wird es wahrscheinlich auch tun, wenn die Show hier gelaufen ist. Aber ich kann daran nichts ändern. Es erscheint immer dann, wenn ich es gerade nicht gebrauchen kann. Das ist leider so.«
»Wie lange haben Sie das schon?«
Tessa hob die Schultern. »Seit einigen Wochen. Drei oder vier vielleicht.«
»Und was spüren Sie, wenn es erscheint?«
»Einen Druck.«
»Nicht mehr? Kein innerliches Aufwühlen, keine Veränderung? Nur einfach den Druck?«
»Das ist so.«
»Aber es passiert nicht nur hier – oder?«
Tessa schüttelte den Kopf. »Auch bei mir zu Hause. Zum Beispiel in der Nacht. Da bekomme ich es dann härter mit. Das ist schaurig, kann ich Ihnen sagen. Wenn es erscheint, brennt meine Stirn, und es ist auch nicht so blaß.« Sie zog die Nase hoch. »Ich weiß nicht, was ich getan habe. Ich komme mir vor wie unter einem Fluch stehend. Nichts liegt dabei in meiner Hand.«
»Wir werden das Rätsel lösen«, machte ich ihr Mut und lächelte dabei. »Nach der Show haben wir Zeit. Und so lange möchten wir Sie nicht aus den Augen lassen, Tessa.«
Sie zeigte sich etwas verwundert und fragte, während sie gleichzeitig in sich zusammenkroch. »Warum wollen Sie das tun? Was bin ich Ihnen wert? Ist es für Sie wichtig?«
»In der Tat.«
»Das ist ja eine Unverschämtheit! Das ist ja nicht zu fassen! Das kann ich nicht begreifen! Fremde in meinem Refugium! Raus, raus, raus, aber schnell! Hier wird gearbeitet und nicht geredet. Die Presse ist nachher an der Reihe.«
Es gab nur einen, der sich so aufregen konnte. Das war Roy Ralston, der Modeschöpfer, wie man früher diese Typen genannt hatte.
Er kam mir vor wie ein übernervöses Eichhörnchen, aber seine Energie war nicht zu bremsen. Er räumte uns zur Seite und hatte in Bills Frau sein Opfer entdeckt.
»Hast du die Kerle hergebracht, Sheila? Gott, bist du denn irre? Die Presse…«
»Keine Sorge, sie sind nicht von der Presse.«
»Hach.« Er verdrehte die Augen. »Das ist schon mal gut. Wer sind Sie dann?«
»Es sind mein Mann Bill und ein Freund. Wir wollten mit Tessa reden.«
Roy klappte seinen Mund auf. Er wirkte wie jemand, der auf der Stelle einfror. »Nein, doch nicht jetzt! Unmöglich. Tessa muß gleich als Erste hinaus. Sie wird den Beginn der Dessousschau übernehmen. Da muß sie sich noch umziehen.«
»Viel kann es ja nicht sein«, meinte Bill und wurde für diese Bemerkung mit einem bösen Blick bestraft.
»Wie dem auch sei, Sie müssen jetzt raus.«
Gern tat ich es nicht. Ich hatte einfach das Gefühl, bei Tessa oder zumindest in ihrer Nähe bleiben zu müssen. Von einer Gefahr war zwar nichts zu sehen, ausschließen konnte ich sie keinesfalls, auch wenn alles so normal ablief.
»Bitte, Sie müssen jetzt gehen!« Ralston schien doppelt so viel Hände zu haben, denn er schaffte es tatsächlich, uns zur Seite zu drängen und damit weg von Tessa.
Ich fing noch einen letzten Blick
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