1036 - Die Psychonauten-Hexe
aber äußerlich nicht zeigte, doch ihre Augen konnten nicht lügen.
Sie fürchtete sich.
Vor wem?
Sicherlich nicht vor uns, denn wir würden ihr bestimmt nichts tun.
Ich wußte auch, daß die Psychonauten Feinde hatten. Mir fiel in diesem Augenblick der Name Aristoteles Leonidas ein, ein sehr reicher Grieche, der eine eigene Fluggesellschaft betrieb, sich selbst als Psychonaut fühlte, aber im Prinzip keiner war. Er haßte die Psychonauten deshalb, weil es ihm bisher nicht gelungen war, deren Geheimnisse zu ergründen. Er jagte sie auch, aber in den letzten Jahren hatten wir nichts mehr von ihm gehört. Leonidas war wie vom Erdboden verschwunden. Nur wollte ich nicht daran glauben, daß er auch tot war. Irgendwo im Hintergrund zog er bestimmt noch seine Fäden.
Dieser Gedanke beschäftigte mich nur für einen Moment, dann konzentrierte ich mich wieder auf die Frau auf dem Laufsteg. Sie befand sich jetzt mit mir auf gleicher Höhe, und es kam mir vor, als hätte sie ihre Schritte verändert.
Nur sehr gering. Sie ging etwas langsamer und nahm sich noch die Zeit, den Kopf in meine Richtung zu drehen.
Schaute sie mich an? Hatte sie etwas gespürt? Ahnte sie, daß in ihrer Nähe drei Personen saßen, die nicht allein wegen der Modenschau erschienen waren?
Es war nur ein kurzer Gedanke. Nicht länger als ein Blitzstrahl, denn der folgende Schritt brachte das Model wieder weiter und damit aus meinem unmittelbaren Blickkontakt weg.
Tessa Hampton setzte ihren Weg fort, aber drei Augenpaare schauten ihr nicht mehr nach. Die beiden Conollys und ich hatten die Köpfe zusammengesteckt, um miteinander flüstern zu können.
Auf Sheilas Lippen lag dabei ein wissendes Lächeln.
»Zufrieden, John?«
»Fast.«
»Wieso? Was willst du denn noch?« fragte sie unwillig.
»Das volle Auge sehen und wissen, was dahintersteckt. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Keine Sorge«, sprach Bill an seiner Frau vorbei. »Das packen wir auch noch.«
»Wann?«
Sheila hob die Schultern. »Das war der erste Durchgang. Danach folgt noch einer, dann ist eine Pause festgesetzt worden, die eigentlich nur für die Zuschauer diesen Namen verdient. Die Models, Macher und Helfer haben keine Pause zu erwarten. In den Garderoben geht es wirklich mit großer Hektik weiter.«
»Das kann ich mir denken. Trotzdem möchte ich die Chance nutzen.«
»Weshalb die Eile?« fragte Bill.
Ich hob die Schultern. »Einen konkreten Grund kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Ich habe einfach das Gefühl, daß die Zeit drängt. Da kannst du sagen, was du willst.«
»Hm. Was meinst du, Sheila?«
»Wir können es ja versuchen.«
Das letzte Wort ging im Beifall unter, der sich allerdings in Grenzen hielt. Das Publikum wollte erst noch den nächsten Durchgang abwarten.
Bisher hatte ich mein Erscheinen hier mehr für einen großen Spaß gehalten. Das stimmte nicht mehr. Ich dachte jetzt anders darüber und hockte auf der harten Bank wie auf heißen Kohlen. Es konnte natürlich falsch sein, aber eine gewisse Ahnung sagte mir schon, daß sich hier etwas anbahnte und es möglicherweise zu einem Knall kommen konnte.
Musste aber nicht sein, denn Sheila hatte das dritte Auge auf der Stirn schon öfter gesehen, ohne daß etwas passiert war.
»Dann bleiben wir eben sitzen«, sagte ich und versuchte, die Beine so gut wie möglich auszustrecken, was mir nicht gelang, denn der nahe catwalk hinderte mich daran.
Teil zwei begann.
Die gleichen Models, nur mit anderen Kleidern. Und wieder erschien Tessa Hampton. Diesmal fiel sie viel stärker auf, denn in ihrem knappen, grellroten Lederkostüm war sie der einzige Farbtupfer in der ansonsten tristen Modewelt.
Das Outfit wirkte sexy, da es mehr von ihrem Körper bedeckte.
Ein sehr kurzer Rock, die schwarzen Strümpfe mit der Naht, der leicht verruchte Touch war vorhanden.
Aber auch das Auge.
Und diesmal stärker als beim ersten Durchlauf. Da konnte mir keiner etwas vormachen. Es leuchtete zwar nicht, nur die Umrisse malten sich härter ab. Das Lächeln auf dem Gesicht wirkte gequälter, während die normalen Augen einen schon hilfesuchenden Ausdruck zeigten, der mir natürlich nicht verborgen blieb.
Es war etwas passiert. Nicht allgemein, sondern mit ihr. Sie mußte eine stärkere Angst durchleiden, daran gab es nichts zu rütteln. Das hatte seine Gründe.
Mein Entschluß stand fest. Ich wollte auf keinen Fall bis zum Ende der Modenschau warten, um mit ihr ein Gespräch führen zu können. Das mußte vorher
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