1036 - Die Psychonauten-Hexe
geschehen.
Auch fragte ich mich, was der Designer, dessen Klamotten sie trug, zu dieser Gesichtsveränderung sagte. Der Mann war schließlich nicht blind, und alle anderen auch nicht.
Tessa verschwand wieder als Letzte hinter dem Vorhang, dessen Falten zufielen und deshalb den jetzt stärkeren Beifall dämpften, den die Zuschauer spendeten.
Ich stand auf.
Sheila hielt meine Hand fest. »Wo willst du hin?«
»Mit Tessa reden.«
»Aber nicht jetzt, John.«
»Doch, ich muß.«
»Das ist unmöglich. Du kennst den Trubel in der Garderobe nicht. Du hast keine Chance.«
»Verdammt, Sheila, es ist wichtig. Du wirst doch auch das dritte Auge gesehen haben. Es hat sich längst nicht mehr so dünn abgezeichnet wie beim erstenmal.«
»Das stimmt. Und was schließt du daraus?«
»Daß irgend etwas im Busch ist. Es kann durchaus fünf vor zwölf sein. Ich glaube, dass wir noch einige böse Überraschungen mit ihr erleben können.«
Sheila war nicht meiner Meinung. Ich las es an ihrem Gesicht ab.
Sie drehte sich Bill zu, der allerdings auf meiner Seite stand und zu ihr sagte: »Ich glaube, daß John recht hat. Wir sollten wirklich nichts anbrennen lassen.«
»Okay, versuchen wir es.«
Wir drei waren nicht die einzigen, die sich erhoben hatten. Auch die anderen Zuschauer waren aufgestanden. Sie kannten die Regeln, zu den Garderoben ging niemand. Sogar die immer neugierigen Fotografen hielten sich zurück.
Das war mir egal. Ich würde mir meinen Weg bahnen, brauchte allerdings Sheilas Hilfe, denn sie kannte sich aus. »Können wir nicht einfach über den Laufsteg gehen?«
»Um Himmels willen, das würde ein zu großes Aufsehen erregen. Nur das nicht.«
»Gut, dann zeig uns den offiziellen Weg!«
Ich kannte ihren Dickkopf. Sie wollte wieder Einwände machen.
Dann lieber einige Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen.
»Ist schon gut. Ich gehe vor.«
Begeistert war sie nicht, doch darauf konnten wir jetzt keine Rücksicht nehmen. Auch nicht auf die Kommentare und Blicke der anderen Gäste, die es schon befremdend fanden, daß wir den großen Raum verließen. Sheila wurde mehrmals angesprochen und gefragt, ob ihr die Schau nicht gefallen hätte.
»Doch, doch, sie war gut. Super sogar. Später mehr darüber. Ich bin ja gleich wieder zurück.«
Bill und ich waren dicht hinter ihr und drückten sie auch vor, damit sie schneller ging. In einem relativ leeren Flur, in dem nur zwei Fotografen auf dem Boden hockten, pausierten und dabei Hamburger aßen, holten wir erst einmal tief Luft, bevor wir uns nach links wandten, denn in diese Richtung hatte Sheila gezeigt.
»Der Zugang wird bewacht.«
Ich lachte. »Das kann uns nicht stören. Wer will der Polizei schon den Zutritt verwehren?«
»Ja, stimmt auch wieder.«
Minuten später hatten wir es dann geschafft. Die beiden Aufpasser hatten unseren Argumenten nachgeben müssen, denn mit dem Yard legte sich keiner gern an.
Es war eine Garderobe, das stimmte. Mir allerdings kam sie mehr wie ein Ameisenhaufen vor, denn das Gewimmel war einfach mit nichts anderem zu vergleichen.
Es war nicht zu sehen, wer hier im Mittelpunkt stand. Ob es die Models waren oder der hohlwangige Designer in seinem grauen, kragenlosen Jackett und der schwarzen Hose. Er wieselte herum. Er sprach mit jedem und jeder, ohne sicherlich zu wissen, was er sagte, aber er lobte, er verteilte Küsschen, sprach irgendwelche Helfer an, doch Wasser oder Tee zu bringen, während Garderobieren dabei waren, die Klamotten für den nächsten Durchgang zurechtzulegen.
Jeder hatte etwas zu sagen, und jeder glaubte auch daran, daß seine Worte die wichtigsten überhaupt waren. Die Models verhielten sich unterschiedlich. Einige saßen einfach nur stumm da, starrten ins Leere oder saugten an ihrem Glimmstängel, während sie zwischendurch tranken und Friseure an ihren Haaren zupften. Andere gingen aufgeregt hin und her, sprachen mit sich selbst oder standen vor den großen, offenen Schrankkoffern, in denen ihr neues Outfit hing.
»Wir werden in zwanzig Minuten weitermachen!« rief der Designer mit schriller Stimme in das Chaos hinein. »Also richtet euch danach. Ich will keine Schlamperei.«
An mir und den Conollys lief das alles vorbei. Wir hatten andere Sorgen, denn wir suchten Tessa Hampton.
Das Modell war schwer zu entdecken, denn Tessa hatte sich in eine Ecke zurückgezogen. Durch die offenstehende Seite eines menschenhohen Garderobenkoffers, war sie schwer zu entdecken. Zum Glück trug sie noch das rote Kleid.
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