1036 - Die Psychonauten-Hexe
Antwort. Sie wußte genau, daß es keinen Sinn hatte, wenn sie etwas sagte. So blieb sie starr sitzen und schaute aus glanzlosen Augen ihrem Schicksal entgegen. Auch ihre Gedanken waren eingefroren, und deshalb sah sie aus wie eine in eine Decke eingewickelte Statue, aber nicht wie ein Mensch.
Der zweite Kerl duckte sich ebenfalls, als er die Höhle betrat. Er war kleiner als sein Kumpan, aber breiter in den Schultern. Marianne war es noch nicht möglich, ihre Gesichter zu erkennen, aber sie kannte die Männer. Anhand ihrer Bewegungen war es ihr gelungen, sie zu identifizieren. Sie gehörten zu den brutalen Menschen im Ort.
Sie waren Helfer und taten immer das, was andere von ihnen wollten. Vorausgesetzt, die Bezahlung stimmte.
Eigentlich hätte man sie als Wilderer einsperren müssen, aber man brauchte diese Typen.
Sie gingen weiter. Sie stanken. Aus den Kleidern drang dieser widerliche Schweißgeruch, der sich mit dem des Fackelrauchs vermischte. Sie trugen dicke Jacken und ebensolche Hosen. Wegen der Kälte hatten sie Strickmützen über die Köpfe gestreift und sie bis über die Ohren gezogen. So erhielten ihre Gesichter einen flachen Ausdruck, der in der Düsternis der Höhle verschwamm.
Der erste zog ein Messer aus der Scheide. Ein Hirschfänger, mit langer, leicht gekrümmter Klinge. Der Stahl schimmerte vor dem Gesicht der sitzenden Frau.
»Kommst du freiwillig mit uns, oder sollen wir dir hier die Kehle durchschneiden?«
Marianne gab keine Antwort. Sie überlegte tatsächlich, ob sie dieses Angebot annehmen sollte. Doch sie entschied sich dagegen, denn sie sagte sich, daß es möglicherweise noch eine Gelegenheit gab, den anderen zu entkommen.
»Na, was ist?«
»Ich komme mit!«
Der Kerl mit dem Hirschfänger lachte. »Hast wohl Angst, nicht wahr, Hexe?«
»Das bin ich nicht!« flüsterte sie.
Beide Männer lachten. Sie glaubten ihr nicht, und sie waren nicht die einzigen; es gab einfach zu viele Menschen im Ort, die Mariannes Worten keinen Glauben schenkten. So stand sie allein und konnte sich auf keine fremde Hilfe verlassen.
»Steh jetzt endlich auf!« Ein Tritt gegen ihre Beine sollte den Befehl unterstreichen.
Marianne war zur Seite gekippt. Sie hatte sich abstützen können und quälte sich hoch.
An der Wand stützte sie sich ab. Die Angst hatte sie schwach werden lassen und bei ihr weiche Knie bewirkt. Ihr Blick war verdreht und leer. Sie war in eine Lage hineingeglitten, mit der sie nicht mehr zurechtkam.
Der kleinere der Kerle spie direkt vor ihre Füße. Dann war er plötzlich bei ihr, und sie sah für einen Moment sein verzerrtes Gesicht, in dem sich die Mordlust und die Vorfreude auf den Tod der Frau paarten. Er bewegte seinen rechten Arm im Halbkreis, und die Hand hieb in den Nacken der Frau hinein.
Der Griff war hart. Die Finger drückten zu. Durch ihre Gewalt wurde der Kopf der Frau nach unten gepreßt, und sie blieb auch in dieser demütigen Haltung.
Ihr Peiniger freute sich. Der Griff machte ihm Spaß. Er führte die Frau genau in dieser Haltung dem Höhleneingang entgegen, als hielte er einen Hund an der kurzen Leine.
Mariannes Sinne waren sensibilisiert worden. So nahm sie die Umgebung überdeutlich wahr. Sie sah den Fels, den unebenen Boden, aber sie nahm auch die Gerüche wahr.
Die Fackeln standen als unruhige und düstere Lichter vor der Höhle. Sie sonderten nicht nur Flammen ab, sondern auch schwarzen, irgendwo fettigen Rauch, der Marianne entgegenquoll, ihr Gesicht streifte, auch in den Mund eindrang und in ihrem Hals kratzte.
Er biss in den Augen, so daß sie zu tränen begannen und den Blick der Frau verschleierten.
Der Mann hielt sie fest. Den Kopf drückte er nach unten. Es war ihm nicht genug, denn immer wieder zischte er ihr zu: »Wehr dich doch, Hexe! Los, wehr dich, verdammt! Ich würde mich freuen. Es würde mir bestimmt Spaß machen!«
Marianne gab keine Antwort. Der Weg nach draußen war kurz.
Trotzdem kam er ihr lang vor, denn immer wieder dachte sie darüber nach, daß sie als Hexe bezeichnet worden war.
Die anderen Menschen im Ort dachten ähnlich. Auch wenn sie es nicht so offen zugaben. Es stimmt, daß Marianne Dingegetan hatte, die ein Arzt oder Bader hätte verzweifeln lassen. So war es ihr gelungen, einige Menschen von schlimmen Krankheiten zu heilen. Sogar Aussätzigen hatte sie das normale Aussehen zurückgegeben. Sie sah sich deshalb nicht als Hexe an. Es steckte ein altes Wissen in ihr, das einfach angeboren sein mußte. Niemals hatte
Weitere Kostenlose Bücher