1036 - Die Psychonauten-Hexe
auf.
Kein drittes Auge mehr, aber in ihren normalen Augen lag noch immer der Ausdruck der Furcht. Dabei wußte sie nicht einmal, wovor sie sich fürchten sollte.
Vor der Garderobe atmeten wir tief durch. Zum Glück wurden wir nicht von anderen Typen bestürmt, da niemand Zeuge von der Szene in der Garderobe geworden war.
Sheila tippte mir gegen die Brust. »Jetzt bist du an der Reihe, John, was sagst du?«
»Zunächst einmal bin ich froh, mitgekommen zu sein.«
»Sehr gut.«
»Mit Tessa stimmt einiges nicht«, erklärte Bill. »Da ist ja nicht nur das dritte Auge auf der Stirn, das sich hin und wieder hervorschält, es gibt da noch die Angst, die sie regelrecht in den Klauen hält. Ich bin überhaupt gespannt, ob sie den nächsten Auftritt noch so durchstehen wird wie geplant.«
»Wir werden es sehen«, sagte ich.
»Gut, dann laß uns zurückgehen.«
Die Gaffer, Käufer und Presseleute hatten ihre Plätze wieder eingenommen und warteten auf den zweiten Teil der Schau. Auch wir saßen an der gleichen Stelle. Jetzt allerdings mit anderen Gefühlen und längst nicht mehr so locker. Ein jeder von uns ahnte, daß sich die Dinge verändern konnten, und das nicht eben positiv, denn die Angst in den Augen des Models wollte uns nicht aus dem Sinn.
Darüber sprachen wir noch immer. Bill kam zu dem Ergebnis, daß sie möglicherweise Angst vor ihrem eigenen Schicksal hatte.
»Kennt sie das denn?« fragte ich.
»Nein, wohl nicht.«
»Dann ist es eben eine allgemeine Angst«, meinte Sheila. »So etwas ist ja neuerdings in.«
»Ja. Nur nicht so übertrieben und ausdrucksvoll wie bei Tessa. Das ist schon etwas anderes. Sie muß spüren, daß in ihr eine Veränderung vorgegangen ist, mit der sie nicht zurechtkommt. Eine andere Möglichkeit finde ich nicht.«
»Dann hat es wohl lange gedauert, bis ihr eigentliches Schicksal zum Vorschein kam«, meinte Bill. »Und das ist nicht leicht für einen Menschen zu verkraften, der bis dato völlig normal gelebt hat, auch wenn er einem ungewöhnlichen Beruf nachging.«
Niemand von uns widersprach. Außerdem richteten sich die Scheinwerfer durch verschiedene Schwenks ein und leuchteten dann auf den Anfang des catwalks. Dort zeigte der Vorhang eine Lücke. Der Steg selbst war mit einem neutralen Stoff bedeckt. Eine sehr blasse Farbe, die nicht von den eigentlichen Dingen ablenkte.
Es war alles wie gehabt. Nur diesmal saß ich da mit geschärfteren Sinnen und nahm die Dinge umso genauer auf. Auch die Musik hörte ich lauter, zuvor war sie mir kaum aufgefallen. Es waren weiche Melodien, die auch in den Abend und zur Nacht passten, also passend für die Mode, die nun vorgeführt wurde.
Dessous also…
***
Und dann kam sie!
Ein leichtes Raunen durchlief die Menge der Zuschauer, als sich Tessa zeigte. Sie trug wenig, aber was sie trug, war klasse und sicherlich auch teuer.
Ober- und Unterteil waren aus bester Spitze gefertigt worden. Wer beide Teile anzog, spürte sie sicherlich nur als einen Hauch auf der Haut, so leicht waren sie. Die Farbe lag zwischen blau und grün und mischte sich zu einem sanften türkisfarbenen Ton zusammen.
Ich beobachtete Tessa genau und war der Überzeugung, daß Sheila und Bill das gleiche taten.
Hatte sie sich verändert? Stand in ihren Augen noch immer die Angst? Oder war sie in der Lage gewesen, dieses tiefe Gefühl zu überspielen? Das dritte Augejedenfalls zeichnete sich nicht ab. Auch Tessa wirkte so, als wäre nichts geschehen.
Sie bewegte sich locker. Auch war sie nicht mehr wie ein heroinkranker Gruftie geschminkt, sondern ein normales Make-up verteilte sich auf ihrem Gesicht.
Sie lächelte mit dem Mund und mit den Augen, die sie beim Gehen bewegte.
Mal nach rechts, mal nach links, wobei sie ihre Gehbewegungen den Melodien der Musik anglich.
Noch blieb die Stirn glatt. Nicht die geringste Andeutung eines Auges war dort zu erkennen. Ich hoffte für Tessa, daß es wirklich so bleiben würde.
Locker ging sie weiter. Es war recht still geworden. Auch die Musik hielt sich mehr im Hintergrund, und die Zuschauer schienen sich noch mehr auf Tessa zu konzentrieren als bei ihrem ersten Auftritt.
Es wurde auch nicht geschrien. Flüsternde Kommentare wischten an meinen Ohren entlang. Was die Leute sagten, hörte ich nicht. Ich konzentrierte mich auf meine dünnen Haare auf den Handrücken, denn die hatten sich aufgerichtet, als wären sie von einem leichten Windstoß berührt worden.
Tessa passierte uns.
Sie lächelte weiter. Vielleicht sogar
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