1040 - Madonna auf dem Höllenthron
Kammer und natürlich der Zugang zum Ausstellungsraum. Aus dieser Richtung hatte ich das Geräusch gehört.
Scotty war mit Julia fertig geworden und kehrte zurück, um den Rest zu erledigen. Daß er so schnell herkommen würde, damit hatte ich nicht gerechnet, allerdings war ich auch bewußtlos gewesen. Nicht lange, das stand fest, aber einige Minuten.
Wohin?
Die Zeit war verdammt knapp geworden. Lange konnte ich nicht mehr warten und mir ein Versteck aussuchen. Deshalb entschied ich mich für die Möglichkeit, die am nächsten lag.
Ich rutschte in die Knie, berührte den Boden und kroch dann unter den Arbeitstisch. Es war eng. Alte Lappen lagen in der Nähe, die mit Farbresten getränkt waren. Noch immer kniend drehte ich mich auf der Stelle herum, um nach vorn schauen zu können. Der Überblick war recht gut. Zwar sah ich beide Türen nicht, aber Scotty würde von der Seite her auftauchen. Abwarten…
Sekunden verstrichen. Ich hielt längst die Beretta fest und versucht auch, meinen Atem unter Kontrolle zu halten. Um Himmels willen nicht auffallen, nicht für ein fatales Ende sorgen.
Wenn nur die verdammten Stiche im Kopf nicht gewesen wären. Sie wollten sich einfach nicht zurückziehen und erschwerten meine Konzentration. Das hier war kein Spaß. Scotty schätzte ich als einen Mann ein, der über Leichen ging, um sein Ziel zu erreichen. Er hatte sich von einer untoten Macht und schrecklichen Vorstellungen blenden lassen. Er war all diesem verfallen. Von allein würde er sich aus dem Bann nicht lösen können. Und er hatte Julia Ross mit hineingezogen.
Um sie drehten sich meine Gedanken, die zudem in Vorwürfen endeten, weil es mir nicht gelungen war, sie zu beschützen.
Scotty kam.
Ich hörte das Geräusch der sich öffnenden Tür. Dieses leise Knarren.
Dazwischen die Schritte. Vorsichtig. Dann ein Kichern, das Triumph ausdrückte.
Danach die Stimme. »Jetzt mache ich ein Ende, du…«
Scotty stoppte mitten im Satz. Er fauchte auf wie ein Tier. Danach folgte ein Fluch. Mir war klar, weshalb er so reagierte. Er hatte erwartet, mich bewußtlos auf dem Boden liegen zu sehen, und jetzt war ich verschwunden.
Er ging vor. Jetzt geriet er in mein Blickfeld. Geduckt hockte ich unter dem Arbeitstisch. Die Lücke war nicht groß. Auch nicht hoch. Wenn ich nach vorn schaute, sah ich nur die Beine des Mannes, seine Hüften und ein Stück des glänzenden Waffenlaufes der verdammten Maschinenpistole.
Er blieb stehen. »Ich hole dich, Sinclair! Ich finde dich! Und dann schieße ich dich in Stücke…«
***
Die Tür war hinter Julia zugeschlagen. Wuchtig, sehr hart. Noch danach leicht vibrierend. Bewegungslos stand sie auf dem Platz. Sie hatte auch gehört, wie sich der Schlüssel von außen gedreht hatte. Abgeschlossen, zugesperrt, sie war gefangen und hatte leider nicht die Chance, durch eines der Fenster zu klettern. Wie im Anbau lagen auch sie hier sehr hoch. Wenn Besucher erschienen, brauchten sie kein Tageslicht, denn sämtliche Exponate wurden angestrahlt und waren hervorragend ausgeleuchtet.
Julia kannte sich aus. Galerie und Arbeitsraum gehörten zu ihrer beruflichen Welt. Scotty hatte nichts vor ihr verborgen. Sie wußte auch, daß es noch einen anderen Eingang gab. Dort kamen die Kunden. Auch er war verschlossen, und Schaufenster, die Käufer anlocken sollten, hatte George Scott nicht geschaffen. An der Außenfassade wies ein Schild auf die Galerie hin. Das war alles. Ansonsten kannten sich die Stammkunden aus.
Scottys letzte Worte kurz vor seinem Verschwinden fielen ihr ein. Er hatte dabei gelacht und sich köstlich amüsiert. »Du wirst nicht allein bleiben, Süße, das auf keinen Fall. Du wirst Besuch bekommen, und du wirst dich bestimmt darüber freuen, diejenige sehen zu können, die du bisher nur auf dem Bild angestarrt hast. Sie ist hier. Sie wird dich riechen. Sie ist ausgehungert. Sie steckt voller Gier nach dem frischen Blut, und du wirst es Madonna geben. Ich kümmere mich um deinen Freund, und später werde ich dich als Wiedergängerin erleben.«
Dann war er verschwunden. Noch immer stand Julia an der gleichen Stelle. Ihr Herz schlug schneller als gewöhnlich. Hinter der Stirn spürte sie den harten Druck, der bis zu den Seiten hin ausstrahlte. Es ärgerte sie, denn sie mußte jetzt einen klaren Kopf behalten.
Vor ihr lagen die beiden Ausstellungsräume der Galerie. Sie gingen ineinander über und waren durch einen Rundbogen verbunden. Der recht breite Gang in der Mitte, der nie ganz
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