1040 - Madonna auf dem Höllenthron
Sinclair.«
Ich bewegte mich nur langsam und hielt die Arme hoch. Den Kerl selbst hatte ich noch nicht gesehen und bekam ihn auch in den nächsten Sekunden nicht zu Gesicht, denn er blieb hinter meinem Rücken. Noch vor dem Erreichen der Wand stoppte er mich.
»Bleib stehen, Sinclair. Und senke nur deine Arme nicht.«
»Keine Sorge.«
»Das ist gut.«
Ich hörte hinter mir seine Tritte. Er kam näher, aber er ging langsam. Er näherte sich uns, nur hatte er sich wohl noch nicht für einen von uns entschlossen, denn direkt hinter mir hörte ich sein Auftreten nicht.
Dann blieb er stehen. Er kicherte wie jemand, der große Schadenfreude verspürt. »Hast du nicht einen Vampir jagen wollen, Sinclair? Ich meinte, so etwas gehört zu haben.«
»Eine Vampirin.«
»Klar, stimmt. Eine Blutsaugerin. Aber sie ist ebenso stark wie ihr männliches Gegenstück. Wenn sie dir einmal am Hals hängt und dein Blut trinkt, gibt es kein Zurück mehr für dich. Ich freue mich schon darauf, wenn Madonna dich leersaugt.«
»Dann wissen Sie, wo sich die Untote aufhält.«
»Aber ja doch. Bei mir, Sinclair, nur wird dir das nichts mehr nützen. Sorry!«
Da war der Luftzug. Aber nur kurz. Er mündete in einem grellen Schmerz, der meinen Hinterkopf durchraste. Ich kam mir vor wie jemand, den man weggestoßen und der dabei den Kontakt mit dem Erdboden verloren hatte. Ich segelte weg. Ich fiel, aber das bekam ich nicht mit, denn um mich herum waren die Lichter erloschen…
***
Julia sah entsetzt ihren Beschützer fallen. Scotty hatte mit dem Stahllauf seiner Maschinenpistole zugeschlagen und drehte sich danach sofort herum, wobei er die Mündung der Waffe auf Julia richtete.
»Nur keine Dummheiten, Süße…«
»Nein, nein«, flüsterte sie. »Scotty, ich tue nichts.«
»Kannst du auch nicht!«
Er lächelte so widerlich und überheblich, daß Julia sich fragte, was in ihn gefahren war. Das war nicht mehr der Scotty, den sie kannte, obwohl er sich äußerlich nicht verändert hatte. Er trug sein Haar noch immer so kurz und so hellblond gefärbt. Den Nacken hatte er ausrasiert und auch seine Haare in Nähe der Ohren verschwinden lassen. So kamen die beiden Ringe besser zum Ausdruck. Der rechte bestand aus Gold, der linke war aus Platin gefertigt.
Sie schaukelten immer leicht hin und her. Der goldene blitzte im Licht und warf seine Reflexe auf die schwarze Lederjacke, die ebenfalls zu Scotty gehörte. Er trug sie immer, er hatte verschiedene davon. Heute hatte er sich für eine kurze entschieden, die noch über dem Hosengürtel endete. Das schwarze Leder war mit Metall beschlagen. Leider nicht mit geweihtem Silber, dachte Julia.
Die Beine steckten in schlauchartigen Jeans, deren Enden in den Schäften der geschnürten Springerschuhe verschwanden.
Julia schüttelte den Kopf. Ein fast schon bedauernder Ausdruck trat dabei in ihre Augen. »Was hast du nur getan, Scotty?« flüsterte sie.
»Was hast du nur getan?«
»Das kann ich dir sagen, Süße. Ich habe mir meine Zukunft vorgesorgt.«
»Durch das Bild?«
»Ja - auch.« In seinen hellen Augen schimmerte plötzlich die Wut. »Aber ihr habt das Bild zerstört, verflucht noch mal. Und dafür wirst auch du büßen.«
»Dann willst du mich erschießen?« Julia wunderte sich, wie normal sie diese Frage hatte stellen können und begriff zunächst nicht, weshalb der andere lachte.
»Nein!« rief Scotty ihr zu. »Ich werde dich nicht erschießen. Deinen neuen Freund vielleicht, wenn ich zurückkomme. Aber dich doch nicht, meine Liebe.«
»Dann kann ich ja gehen, wie?«
Er antworte mit einem dreckig klingenden Lachen. »Ja, du kannst gehen. Aber dorthin, wo ich es will.«
»Und das wäre?«
»In die Galerie.«
»Ach. Soll ich mir dort deine Ausstellungsstücke anschauen? Die kenne ich schon, Scotty.«
»Das weiß ich doch, Süße. Aber es ist ein neues Ausstellungsstück hinzugekommen. Ein lebendes Kunstwerk, wenn du so willst. Und das kennst du noch nicht.«
»Madonna!«
»Ja!« Er jubelte die Antwort beinahe. »Wie recht du hast, meine Liebe. Es ist Madonna.«
»Und sie lebt?«
»Was man so leben nennt. Es geht ihr im Moment nicht gut. Sie hat zu lange gehungert. Ich werde mein Versprechen halten und ihr die Nahrung besorgen, die sie braucht.« Scotty schaute Julia von oben bis unten an. »Ja, sehr schön«, lobte er sie dann.
»Also ich…«, hauchte sie.
»Klar. Wer sonst?«
Bis jetzt hatte sich Julia überraschend gut halten können. Sie hätte sich auch selbst auf
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